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Stuhl rollt mit Schuh

■ "Eine Art Eintrittskarte fürs normale Leben": In Hamburg lernen körperbehinderte Jugendliche Inline-Skate-Fahren

Hamburg (taz) – Der Gong zur sechsten Stunde ist verhallt. Im sonst gähnend leeren Raum macht sich Aufregung breit. Die rotgeflieste Pausenhalle der Schule Hirtenweg in Hamburg-Othmarschen wird binnen weniger Augenblicke zur Aktionsbühne für 25 SchülerInnen. Ihre Schultaschen landen in der Ecke. Um Knie, Ellbogen und Handgelenke legen sie Schützer aus hartem Kunststoff an. Und ihre Schuhe tauschen sie mit jenen Objekten, die als Inline-Skates das Rollschuhlaufen revolutionierten. Einige von ihnen fahren unter Kreischen sofort drauflos, andere gehen zögerlicher vor: Matciek und Marco bilden ein Team und machen sich gemeinsam auf den Weg.

Das scheint angesichts von vier Millionen Inline-Skatern hierzulande zunächst einmal nichts besonderes. Im Falle der beiden 15jährigen aber hat die Szene Seltenheitswert. Matciek sitzt im Rollstuhl, an dem sich Marco – kippelnd auf den Skates – abstützt. Seit wenigen Tagen haben körperbehinderte Kinder und Jugendliche erstmals in der Hansestadt Gelegenheit, ihre Freizeit zur Gleitzeit zu machen.

Mädchen und Jungen mit unterschiedlich schweren Handicaps nutzen in den nächsten Monaten dieses Zusatzangebot an der Körperbehindertenschule. Einbeiniges Fahren, Ausweichen vor Hindernissen und natürlich das Bremsen sind die Etappen auf der vor ihnen liegenden Entdeckungstour.

Begleitet werden sie von sechs Studierenden der Universität Hamburg, die das Inline-Skating- Projekt des Sportwissenschaftlers Volker Nagel durchlaufen. Während sie sich im Sommersemester Fahrtechniken und Lehrmethoden aneigneten, suchten sich die Teilnehmer nebenher ihr Praxisfeld für das aktuelle Wintersemester. Thomas Möller ist einer der Studierenden. „Wir waren überrascht, mit welcher Begeisterung die dabei waren“, sagt er. Besonders ist die Integrationskraft der Skates aufgefallen, „wie Rollifahrer Freude daran hatten, anderen als mobile Stütze zu helfen“.

Den Schritt der überwiegend im sozialen und pflegerischen Bereich vorgebildeten Studierenden an die Schule ermöglichte Sabine Wesling, Sportlehrerin im Hirtenweg. Sie war aus verschiedenen Gründen von der Projektidee spontan begeistert: „Mit Inline-Skating verschaffen sich unsere Kids eine Art Eintrittskarte für das sogenannte normale Leben unter gleichaltrigen Nichtbehinderten. Außerdem verbessern die Skates ihr beeinträchtigtes Bewegungs- und Gleichgewichtsgefühl.“

Diese Annäherung von Wissenschaft und Praxis bezweckt Projektleiter Nagel mit seiner Konzeption: „Das Ziel ist, Studenten in hohem Maße für die Praxis zu qualifizieren.“ Und die ist durchaus vielfältig: Neben der Betreuung Körperbehinderter forschen Teams zu Themen wie Verkehrserziehung auf Inline-Skates oder deren Einsatz in der Rehabilitation. Nagel will auch Vorurteile gegen Inline- Skates abbauen: Daß sie zu mehr taugen als zum Bürgerschreck, zeigt die Arbeit mit Körperbehinderten. Jan Schütte

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