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Mit herrischer Geste wird dem Erbe zu Leibe gerückt

■ Demokratisch ist das Procedere nicht gerade. Es erinnert eher an die Utopien früherer Reißbrettplaner, die Städte im Handstreich planten – oder erledigten

Für den Autor des „Planwerks Innenstadt“, Dieter Hoffmann- Axthelm, bedeutet die raumgreifende Planung über ganze Stadtquartiere, Plätze und Straßen der City-Ost nichts Außergewöhnliches. „Was wollen Sie, wir legen einen Entwurf vor. Am Anfang steht immer der städtebauliche Plan. Oder sollen wir etwa die Entwicklung der Stadt mit Anwohnern und Bürgerinitiativen debattieren?“

Und mit einem sogenannten Masterplan hätten die neuen Blöcke und Straßen nichts gemein. Das Planwerk sei als politische und architektonische „Diskussionsgrundlage“ zu verstehen – nicht mehr und nicht weniger. Oder doch nicht? Daß Hoffmann-Axthelm die Macht der Pläne samt ihrer herrischen Geste herunterspielt, mit der der ungeliebte sozialistische Städtebau in einem großen Wurf negiert werden soll, grenzt für die Architektin Simone Hain fast schon an Anmaßung. „Wer sich heute mit dem Gewicht eines Masterplans über die Stadtmitte hermacht, arbeitet mit einem planerischen Instrumentarium aus dem 19. Jahrhundert.“ Der Chefplaner des Staatssekretärs für Stadtentwicklung, Hans Stimmann, revidiere schlichtweg demokratische Planungskultur, bei der in der Regel vielschichtige Gutachterverfahren, Wettbewerbe und öffentliche Debatten jedem „Planwerk“ vorausgingen.

In der Tat mutet das Procedere wie eine rückwärtsgewandte Utopie baulicher Großmeister an, die Städte im Handstreich planten – oder diese erledigten. Nicht die unterschiedlichen Interessen und Kräfte einer differenzierten Stadtgesellschaft spielen dabei eine Rolle, sondern sie „gestalten“ Stadt mit Bildern und Visionen, phantastischen Vorstellungen und Ideologien. Ludwig XIV. ließ sich von seinen Architekten Versailles als Abbild absolutistischer Regentschaft planen, Baron Haussmann fräste die Vorstellungen der Grande Nation in Gestalt großer Boulevards und pompöser Bauten radial durch das alte Paris.

Kaum weniger raumgreifend waren die funktionalistischen Kunststädte der Architekten der klassischen Moderne, die ihre Euphorien von der verkehrsgerechten Stadt auf den Reißbrettern ihrer „Architekturlaboratorien“ eingravierten. Und daß sich Diktatoren für ihre megalomanen Stadtvisionen ihre Terragnis oder Speers suchten, die heimlich am Zeichentisch ganze Stadtquartiere ausradierten, hat Berlin ganz besonders zu spüren bekommen. Die neuen Planer und ihre Auftraggeber sind keine Diktatoren oder Reichsarchitekten. Dennoch bemühten sie nach dem Fall der Mauer für die weiten östlichen Innenstädte nicht mehr die vorhandenen Grundlagen, wie beispielsweise die bezirkliche Bereichsentwicklungsplanung, moniert die Baustadträtin von Mitte, Karin Baumert.

Statt dessen kramt man nach Bildern von Altberlin, die den schwierigen Prozeß der Stadterneuerung für die City-Ost überlagern sollen. „Die für Westberlin gefundenen Lösungen lassen sich nicht auf Ostberlin übertragen“, warnt der Kunsthistoriker Heinrich Klotz. Der östlichen Stadthälfte sei mit den Mitteln der gängigen Stadtreparatur nicht beizukommen. Die alte Mitte konfrontiere die Planer mit einer neuen Aufgabe. Und dieser will sich der Masterplan wohl nicht stellen. Rolf Lautenschläger, Berlin

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