■ VW-Vorstand Jose Lopez, der im Verdacht steht, 1993 bei Opel Betriebsgeheimnisse mitgenommen zu haben, will heute zurücktreten. Die milliardenschwere Schadenersatzklage des Konkurrenten wirkt: Erster Schritt zum Burgfrieden?
VW-Vorstand José López, der im Verdacht steht, 1993 bei Opel Betriebsgeheimnisse mitgenommen zu haben, will heute zurücktreten. Die milliardenschwere Schadenersatzklage des Konkurrenten wirkt
Erster Schritt zum Burgfrieden?
War der VW-Sprecher einfach der eigenen halbherzigen Dementis im Fall López überdrüssig? Oder war es Mitleid mit den Journalisten, die gestern die Pressestelle des Wolfsburger Automobilkonzerns „mit Anfragen überhäuften“, ohne etwas über den bevorstehenden Rücktritt des VW-Vorstandes für „Produktionsoptimierung und Beschaffung“, José Ignacio López, zu erfahren? VW-Sprecher Klaus Kocks legte jedenfalls gestern mittag entnervt die Arbeit nieder, informierte selbst darüber, daß man sich „das frustrierende Telefonieren ersparen“ könne, daß von VW „heute keine Stellungnahme zu erwarten ist“.
Am heutigen Freitag tagt der VW-Aufsichtsrat, und für diese Sitzung wird schon seit Wochen eine Entscheidung über die Zukunft des als Kostenkiller berüchtigten López erwartet – schließlich steht dem VW-Vorstandsmitglied noch vor Ablauf des Jahres eine Anklage der Darmstädter Staatsanwaltschaft ins Haus, die schlimmstenfalls auf Industriespionage lauten wird. Nichts Neues beinhalteten insofern die gestrigen Meldungen des Handelsblatts, nach denen López heute dem VW- Aufsichtsrat seinen Rücktritt anbieten wird. Die Börse reagierte sofort: Der VW-Kurs stieg nach dem dramatischen Einbruch vom Vortag auf 613 mark.
Der VW-Konzern war ja schon vor 14 Tagen von seinem Einkaufschef abgerückt, als die Anklageerhebung zur bevorstehenden Gewißheit geworden war. Seither gibt die Pressestelle des Konzerns zu den strafrechtlich relevanten Vorwürfen gegen López keine Auskünfte mehr und verweist auf dessen Frankfurter Rechtsanwalt.
Dementiert hat VW-Sprecher Klaus Kocks bisher allerdings immer, daß der Rücktritt des José Ignacio López schon jetzt anstehe. Und dies hing natürlich mit dem Rechtsstreit von VW mit Opel und General Motors zusammen, der nun im Form einer Schadenersatzklage vor einem in Detroit ansässigen US-Bundesgericht ausgefochten werden soll. Der VW-Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Liesen bemüht sich seit einiger Zeit um eine Beilegung des Konflikts mit General Motors, der im Jahre 1993 mit den dubiosen Umständen des urplötzlichen Wechsels von López zu VW begonnen hatte. Liesen hat das direkte Gespräch auf höchster Ebene mit dem Verwaltungsrat von General Motors gesucht – was auch von der Gegenseite nur noch halbherzig in Abrede gestellt wird. Selbst aus der Staatskanzlei in Hannover verlautet seit einiger Zeit, daß Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder, der für den größten Anteilseigner im VW-Aufsichtsrat sitzt, über eine sachdienliche außergerichtliche Einigung zwischen General Motors und VW erfreut wäre. Natürlich seien die VW-Aufsichtsräte um einen Kompromiß bemüht.
Auch bei Opel in Rüsselsheim wird nur dementiert, daß es zwischen Klaus Liesen und dem GM- Verwaltungsrat Vergleichsverhandlungen gebe oder gegeben habe. Eine solche Aussage schließe aber nicht aus, daß Klaus Liesen in den USA Einigungsmöglichkeiten sondiere oder General Motors Avancen gemacht habe, sagt Opel-Sprecher Bruno Seifert. Vor allem aber kann man sich in Rüsselsheim keinesfalls vorstellen, daß heute allein der Rücktritt von López ausreicht, um den Frieden zwischen den beiden Automobilkonzernen wiederherzustellen. „Damals im Jahre 1993 wäre eine Trennung VWs von López wohl eine Möglichkeit gewesen, um den Konflikt nicht eskalieren zu lassen“, sagt Bruno Seifert rückblickend. Aber damals habe VW-Chef Piäch noch öffentlich seine Hand für López ins Feuer legen wollen. In der Zwischenzeit sei Opel und General Motors eben tatsächlich ein Schaden entstanden durch Verrat von Betriebsgeheimnissen an den Wolfsburger Konkurrenten. Dieser Schaden müsse von VW ausgeglichen werden, und diesem Zweck diene eben die Klage, die General Motors und Opel in Detroit erhoben hätten.
Daß López kistenweise Material von General Motors einfach mitgenommen hat, als er im März 1993 zu VW wechselte, hat auch VW nie bestritten. Die geheimen Firmenunterlagen betrafen etwa die Geschäftsbeziehungen von GM zu seinen Zulieferern, so eine 110.000 Positionen umfassende Einkaufsliste. VW hat immer behauptet, daß GM deswegen kein Schaden entstanden sei, weil man von den entsprechenden Unterlagen keinen Gebrauch gemacht habe, sondern sie damals dem Reißwolf überantwortet habe. Opel allerdings hatte damals die sofortige Rückgabe aller Unterlagen verlangt, und die Stellungnahme, mit der VW seinerzeit die Aktenvernichtung rechtfertigte, klingt noch heute amüsant. „Zur Beseitigung jeder Gefahr der Verbreitung bei Volkswagen“ seien die Unterlagen von López vernichtet worden, gab VW-Aufsichtsratschef Liesen damals bekannt.
General Motors allerdings bestreitet, daß damals Firmengeheimnisse geschreddert worden sind. Schließlich habe die Staatsanwaltschaft bei einer späteren Durchsuchung bei VW zahlreiche Disketten und Festplatten von Computern beschlagnahmt. Auf diesen seien zwar nicht nur, aber auch Firmengeheimnisse von GM gespeichert gewesen.
Um genau diese Fragen geht es in der jetzt in Detroit zugelassenen Klage nach dem Rico-Gesetz, das ein Gesetz zur Bekämpfung der Mafia und der organisierten Kriminalität ist. General Motors und Opel schließen aus dem Verhalten der VW-Vorstandsmitglieder Piäch und Neumann nach dem Wechsel von López zu VW auf „eine kriminelle Verschwörung“ im VW-Vorstand. Da das Rico-Gesetz einen Strafschadenersatz in Höhe der dreifachen Summe des tatsächlich entstandenen Schadens vorsieht, drehe sich der Prozeß um eine Summe von bis zu vier Milliarden Mark, heißt es in Rüsselsheim. Jürgen Voges, Hannover
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