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Barfuß über den Ku'damm laufen

Heute vor 25 Jahren, am 4. Dezember 1971, starb der Militante Georg von Rauch in Berlin-Schöneberg – ein Zivilfahnder schoß ihm direkt ins Auge. An ihn und den „Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen“ erinnert  ■ Helmut Höge

„Kamen rin, hoben die Fäuste und riefen: ,Free Boomi now!‘ Det war der Blues“, so Peter Paul Zahl, der sich dann – nach langer Knastzeit – mit seinem Roman „Die Glücklichen“ eine nach ihm benannte „Festung“ auf Jamaika zusammenschrieb, die noch heute gerne von den GenossInnen urlaubsmäßig angesteuert wird. Sein nächstes Buch wird, wie auch bereits die letzten drei, im Karin Kramer Anarcho-Verlag erscheinen.

Der „Blues“ franste atmosphärisch um einen „Kern von Unentwegten“ aus, wie Andrew Hood, der langjährige Freund der Kommunardin Dorothea Ridder und ein Aktivist der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB), die „Haschrebellen“ nennt. Er selbst stieß erst jetzt – bei seinen Recherchen über den Weddinger Erfinder einer fast unsterblichen Glühbirne, Dieter Binninger (der 1991 während seiner Verhandlungen über den Kauf des Ostberliner Glühlampenwerks Narva mit dem Flugzeug abgestürzt war), – auf den „Blues“, an dem Binninger als Kiffer und Videofreak, aber auch als Erfinder- Unternehmer „dranhing“.

Seinen engsten Kontakt hatte Binninger damals wohl zum „Heiligen Steve“, dessen Verbleib im Moment noch unklar ist – er fuhr oft mit seinem VW-Bus nach Ibiza. Hoffentlich ist er nicht mit dem Iren Steve identisch, der vor sechs Jahren bei einem Autounfall in Niedersachsen starb. Näheres wüßte vielleicht „Happy Dieter“, der heute in einer Heiligenkommune am Wannsee lebt, wie Bodo Saggel weiß.

Bodo gehörte zum harten Kern der „Haschrebellen“, zusammen mit Georg von Rauch, Bommi Baumann, Hannibal und Günter Langer. Saggel kam jedoch nicht über den „Blues“ in den Knast, sondern umgekehrt: aus dem Knast zum Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) am Kurfürstendamm, wo Jörg Schlotterer ihm dann 1969 sein erstes Buch „Der Antijurist“ druckte – mit einem die Klassenjustiz aufs schärfste attackierenden Vorwort von Klaus Eschen. Es wird demnächst im Karin Kramer Verlag neu veröffentlicht. Auch das 1971er-Pamphlet „Für eine gerechte Verteilung mit der Brechstange“ wird Bodo Saggel zugeschrieben. Der Autor wollte jedoch nicht als Schriftsteller enden. Einmal zerschlug er mit einem Hammer die Scheiben des Bonner Bundestages. Die letzten Jahre bis zu seiner neuerlichen Rückkehr nach Berlin lebte er auf einem Bauernhof im Wendland und wurde zum „Esoteriker“.

Bommi Baumann wiederum arbeitet derzeit an einem dritten Buch – nach: „Wie alles anfing“ und „HiHo“, das eigentlich „Mein Herz schlägt für Angelika“ heißen sollte. Hauptberuflich ist er Bauleiter eines ABM-gestützten Therapie-Neubaus in Friedrichshain und hat gerade eine derart dicke DDR- Immobilie geerbt, daß er sagen kann: „Dies ist hier jetzt nur noch eine philanthropische Tätigkeit, wegen des Gehaltes mache ich das nicht mehr.“

Bommi erzählt gerne und gut Geschichten – zuletzt schwärmte er bei Alfred Biolek von der Wirkung seiner (neuen) Rauschgiftabstinenz. Die Jungautonomen nehmen ihm bis heute insbesondere sein Spiegel-Interview von vor 20 Jahren übel, in dem er gemeint hatte, Georg von Rauch habe zuerst geschossen. In ihrem Flugblatt zur Vorbereitung von Georg-von-Rauch-Gedenkaktionen am 4. Dezember – unter dem Titel „Die Glücklichen“ (!) – kamen sie jüngst noch einmal wieder darauf zurück. Der „Blues“ war da weniger nachtragend – bis heute.

Bodo meint zwar, Georg sei auf „S-Bahn-Peter“ (den Spitzel Urbach) reingefallen, gönnt ihm aber seine kleine Ikonisierung. Till Meyer, der halb proletarischer Maoist war und halb im Blues mit drinsteckte, „mit Jimmy Hendrix und Dope und so“, korrigierte ihn jüngst als genauer recherchierender taz- und „Spiegel-TV“-Mitarbeiter: In seinem neuen Buch „Staatsfeind – Erinnerungen“ schreibt Meyer, daß sie wegen eines geklauten Transportwagens aufflogen, wobei dann die tödlichen Schüsse fielen.

Urbach wurde schon im Sommer 69 enttarnt, da waren Thomas Weissbecker, Georg von Rauch, Bommi Baumann und Dieter Kunzelmann im Knast, letzterer wegen eines angeblichen Bombenanschlags auf den „Juristenball“. Später schlief Lisbeth Schlotterer einmal mit ihm und verkündete danach: „Dieter ist der beste Mann von ganz Berlin!“ Seitdem hat er Schwierigkeiten mit Frauen. Und weil er damals mit seinem Tagebuch verhaftet wurde, hat er auch bis heute eine „Konspi-Macke“.

„Alle haben Macken – das ist doch Ehrensache“, gibt Alt-SDSler Hans-Dieter Heilmann zu bedenken. Bernd Kramer etwa erzählt gerne politisch nicht korrekte Witze. Wegen eines solchen („Warum onanieren Taubstumme mit der rechten Hand? Weil sie mit links stöhnen!“) wurde er gerade im neuesten Buch von Jutta Ditfurth zusammen mit „Anzünder- Klaus“ als „rechter Anarcho“ verortet. Till Meyer wiederum gilt der taz und darüber hinaus als „Stasi- Verräter“ – in seinem Buch rechtfertigt er sich politisch.

Auch die wunderbare Inge Viet, die sich weigerte, die Kronzeugenregelung gegen ihre Stasi-Offiziere in Anschlag zu bringen und deswegen bis 1997 im Knast bleiben muß, hat gerade ein Buch veröffentlicht: „Briefe“ (an Freundinnen, Christa Wolf etc.), im nächsten Jahr folgen ihre „Erinnerungen“. Der stets mit Würsten zur Speckseite werfende Christoph Schlingensief sitzt bestimmt bereits an einem Filmskript mit dem Titel „Der Deutsche Bücherherbst“.

Georg von Rauch war ein Professorensohn aus Kiel, der immer nur las und dann Philosophie studierte: „Einmal guckten wir aus dem Fenster im SDS-Haus, da sagte er: ,Früher habe ich das Leben nur so – vom Fenster aus – gesehen. Mein Vater ist ein Arschloch.‘ Beim SDS fühlte er sich auf einmal frei und lief barfuß über den Ku'damm“, erinnert sich Bodo Saggel, der die Freiheit viele Jahre nur durch Knastfenster sah. Der gesamte „Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen“ (so ihre politisch-korrekte Bezeichnung) paßte in ein Auto, es gehörte dem Vater von Günter Langer.

Günter heiratete später die einzige Vietnamesin aus dem Blues: Kim. Sie bekam ein Kind, heute leben die beiden getrennt, Günter arbeitet als Computerlehrer in Berlin. Auch Hannibal wollte irgendwann wieder in Berlin „einsteigen“, aber er kippte um – und kam in ein Therapiehaus am Wannsee. Von dort ließ er sich 1995 auf eigene Verantwortung entlassen und fuhr nach Spanien. „Sie waren alle sehr abenteuerlustig – und unbekümmert“, meint Alt-SDSler Peter Rambauseck.

Mich hat besonders beeindruckt, wie Bodo Saggel einmal alleine ein riesiges Teach-in im Audimax der TU bestritt. Jetzt, 27 Jahre später, erzählte er mir jedoch, daß eigentlich drei Leute beteiligt waren: „Manfred Grashoff wollte was über die Bundeswehr-Deserteurs-Kampagne sagen und Bommi Baumann auf der Bühne mit jemandem ficken. Aber beide erschienen nicht, so daß ich alleine – über ,Die Hure Justiz‘ – sprechen mußte.“

Das, was den Erfinder der fast unsterblichen Glühbirne Dieter Binninger im Streit vom Rand des Blues entfernte: der Widerspruch zwischen einem Videogebrauch – im Dienste von DFFB-Kunst und Leben etwa – und einem profitablen Einsatz dieser in den Siebzigern noch brandneuen Technologie (etwa bei Aufklärungs-/Überwachungsaufgaben), kennzeichnet auch die Spannung in den meisten Werken des Berliner Blues und seines Zentralrats! Mögen ihnen auch fürderhin die Glücksmetaphern nie ausgehen und uns die Georg-von-Rauchhaus-Festung am Mariannenplatz noch lange erhalten bleiben! Gerade haben sich dort einige vielversprechende Kunststudentinnen mit ihren Wohnwagen drumherum angesiedelt. Der nächste Konflikt ist also bereits „vorprogrammiert“, wie man heutzutage in Berliner Justizkreisen zu sagen pflegt.

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