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„Die Frauen im Werk waren mir bitterböse“

■ Brunhild Jaeger war Generaldirektorin von Orwo, dem größten Frauenbetrieb der DDR

„Mir haftet das an, daß ich karrieristisch veranlagt bin: mit 28 Jahren Werkleiter und dann Generaldirektor. Aber ich hab' mich nicht danach gedrängt. Ich hob mich wohl von einigen ab, weil ich mich bemüht habe, ich war einsatzfreudig und belastbar. Und ich habe auch auf alles verzichtet, wie eine Familie. Ich habe mit der Zeit Durchsetzungsvermögen bekommmen und dadurch auch Zuverlässigkeit.

Damals soll der Generaldirektor der VVB Chemiefaser/Fotochemie gesagt haben, daß er nicht Generaldirektor des neuen Chemiefaserkombinats werden will. Der Umfang und die Kompliziertheit der dort laufenden Investitionen wären für ihn ein zu großes Risiko. So durfte ich 1970 Generaldirektor der Chemiefaserindustrie der DDR werden. Und 1975 wurde ich Generaldirektor des Fotochemischen Kombinats in Wolfen. Mit seinen sieben Werken und dem Stammwerk, der Filmfabrik, war es das „Skandalkombinat“ der DDR-Chemie. Ich wurde also Generaldirektor dieses Kombinats, weil es keinen Mann gab, der es werden wollte. Man kann da also eine Frau hinsetzen, damit der Minister und die Regierung eine Schonfrist kriegen. Man kann sagen: Habt doch Verständnis, die muß sich erst mal einarbeiten.

Ich kam 1975 nach Wolfen und mußte erkennen, daß ein Teil der Entwicklung verschlafen worden war. Fuji und Kodak waren in den neuen chemischen und technologischen Verfahren vorne. Die arme DDR hatte natürlich kein Geld und fühlte sich wohl mit dem sicheren Export in die Sowjetunion, nach dem Motto: Die nehmen es uns immer ab. Es kam dann aber das tödliche Erwachen, daß selbst die Sowjets andere Filmqualitäten verlangten. Jetzt dachte mein Minister, ich mache einfach einen neuen Wettbewerb, und alles wird laufen. Da habe ich gesagt, daß es so nicht geht. Das Ganze wieder in Ordnung zu bringen, kostet fünf Milliarden. Na, da war was los.

Die Frauen im Werk, das muß ich sagen, die waren mir am Anfang bitterböse. Die haben erwartet, mit einer Frau als Generaldirektor könnten sie im Werk während der Arbeitszeit zum Friseur gehen oder einkaufen. Ich habe immer versucht, dem Rechnung zu tragen, daß hier überwiegend Frauen gearbeitet haben, zum Beispiel durch soziale Leistungen, dadurch hatten wir immer einen erhöhten finanziellen Aufwand. Wir brauchten mehr Krippen und Kindergärten. Wir haben regelmäßig gynäkologische Untersuchungen durchgeführt.

Als diese Bewegung im Jahre 1989 in Gang kam, an der Spitze die Bürgerrechtler, da hatte ich erst mal Hochachtung vor denen, auch vor solchen wie Bohley. Ich gehörte zu denen, die glaubten – ich war so naiv – daß es sich lohnt, um eine erneuerte DDR zu kämpften. Aber dann merkte ich, wie das umkippte, wie sich Leute an die Spitze setzten, die mit den Bürgerrechtlern nicht viel zu tun hatten. Ich fand es auch ekelhaft, wie diese Leute aus der SED, der ich ja auch angehörte, mit dubiosen Begründungen anfingen auszusteigen. Ich hatte Hochachtung vor Leuten, heute noch, die 1975 oder 1980 aus der SED ausgetreten sind aus politischer Überzeugung. Aber die ein halbes Jahr oder drei, vier Monate vor der Wende aus der Partei austraten, die kamen mir vor wie Ratten, die das sinkende Schiff verlassen. Ich bin nicht ausgetreten, weil mir das so billig erschien.

Ich habe keine Probleme mit dem Grundgesetz, obwohl noch ein paar soziale Sachen reingehören, wie Recht auf Arbeit, aber das geht wahrscheinlich nicht. Ich bin nur unzufrieden damit, wie das jetzt hier läuft. Wenn ich die Arbeitslosen sehe, den Vorruhestand. Dann fühle ich mich schon ausgegrenzt. Denn selbst wenn man jetzt sagt, es ist in der DDR nicht alles ordnungsgemäß gelaufen, und als Generaldirektoren können wir euch nicht mehr gebrauchen, gäbe es doch die Möglichkeit zu sagen, ihr habt Kenntnisse und Erfahrung im Osthandel. Ich kannte die gesamte Fotochemie der Sowjetunion, die wesentliche Fotochemie Chinas. Vielleicht so: Ihr kriegt eine Beraterfunktion mit einem bescheidenen Aufwand, kein Gehalt, aber daß man noch irgendwie gebraucht wird.

Ich möchte noch mal betonen, daß es für mich am schwersten ist, mit dem Gefühl zu leben, daß ich umsonst gearbeitet habe.

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