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„Wir fahren einen offensiven Kurs“

■ Welf Schröter, Leiter des Forums soziale Technikgestaltung beim DGB-Landesbezirk Baden-Württemberg, setzt auf Online-Beratung

taz: In den achtziger Jahren haben die Gewerkschaften Telearbeit abgelehnt. Heute bieten sie einen Online-Dienst für TelearbeiterInnen an. Wie kommt es zu dieser Kehrtwende?

Welf Schröter: Das hat sehr viel mit dem Inhalt des Wortes „Telearbeit“ zu tun, der sich stark verändert hat. Noch vor 10 bis 15 Jahren wurde unter Telearbeit reine Heimarbeit verstanden. Klassischer Fall: Stupide Dateneingabe wurde ausgelagert und meist schlecht bezahlt von Frauen in den eigenen vier Wänden erledigt. Heute ist man davon weit entfernt. Telearbeit wird kaum mehr isoliert ausgeübt. Mehr und mehr hochqualifizierte ArbeitnehmerInnen, von leitenden Angestellten bis hin zu den neuen Selbständigen, empfinden Telearbeit als Erleichterung. Gerade weil sie reichlich Erfahrung mit Zeitsouveränität haben und es gewöhnt sind, flexibel und selbständig innerhalb und außerhalb eines Unternehmens zu arbeiten. Zudem gibt es eine Menge hochqualifizierter Frauen, die an unternehmensinternen Hierarchien scheitern. Die sagen sich: Warum soll ich dort versauern, wenn ich mich mit anderen selbständig machen kann?

Und die wollen Sie mit virtueller Gewerkschaftsarbeit erreichen?

Für viele der neuen Selbständigen wird sich schnell herausstellen, daß sie ohne Bündnispartner ihre Interessen nicht durchsetzen werden. Das Problem ist allerdings, daß viele bisher kaum etwas mit der Gewerkschaft oder Betriebsräten zu tun haben. Sie treffen individuelle Vereinbarungen mit Geschäftsleitungen, wodurch ein Flickenteppich entsteht. Irgendwann werden diese individuellen Vereinbarungen zum Standard, und das überträgt sich auf Angestellte wie FreelancerInnen, die auf ganz anderen Ebenen tätig sind.

Wie soll der Online-Dienst diese Entwicklung aufhalten?

Von gewerkschaftlicher Seite fahren wir seit längerem einen offensiven Kurs. Wichtig ist beispielsweise der relativ moderate Pilottarifvertrag zwischen Deutscher Postgewerkschaft und der Telekom. Prinzipien wie Freiwilligkeit wurden festgeschrieben, aber auch die Forderung nach alternierender Telearbeit, also das kombinierte Arbeiten von zu Hause aus mit Arbeiten im Büro des Arbeitgebers, und die Übernahme von anfallenden Kosten und Gebühren durch den Arbeitgeber. Da wurden brauchbare Rahmenbedingungen vereinbart, die Leitlinien sein können, wenn die neuen Selbständigen über Verträge verhandeln. Unabhängig von einer Gewerkschaftsmitgliedschaft (dann mit Gebühr) kann diese neue Klientel den Informationsdienst und Beratungsangebote in Anspruch nehmen, damit dem Flickenteppich an individuellen Vereinbarungen etwas entgegengesetzt wird. Online können wir Beratungen schneller abwickeln, und wir kommen an die Menschen ran, die online arbeiten und nicht mehr im herkömmlichen Sinn zu erreichen sind.

Was sagen die GewerkschafterInnen alter Schule zu dieser neuen, selbständigen Klientel?

Es beginnt ein Veränderungsprozeß in der Wahrnehmung. Innerhalb der IG Medien ist es ja schon lange selbstverständlich, daß man sich um Freie kümmert, mittlerweile zwingen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen heute aber immer mehr Menschen in prekäre Arbeitsverhältnisse, die sich in der Arbeitsform Telearbeit eben zuspitzen. Deswegen beginnt bei der HBV, der GEW, ÖTV und der Postgewerkschaft ein Öffnungsprozeß. Gewerkschaftsintern gewöhnt man sich zudem langsam an neue Formen der ungleichzeitigen Kooperation über Online-Kommunikation. Interview: Nikola Wohllaib

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