: Sag beim Abschied leise servus
■ Schönberg-Erben geben Nachlaß des Komponisten nach Wien und geben Berlin einen Korb. Viel Enttäuschung und Häme über den kulturellen Flurschaden
Am Ende blieb Peter Radunski nur noch der Sarkasmus: „Ich gratuliere der Stadt Wien zu ihrem Erfolg“, sagte Berlins Kultursenator mit hängenden Schultern und tauchte ab. Die Blamage für die Hauptstadt war perfekt. Die Enttäuschung sitzt in Berlin seit dem Wochenende tief. Der wertvolle Nachlaß des Komponisten Arnold Schönberg (1874–1951) geht an die Donau und nicht an die Spree, wie Diepgen seit Monaten lauthals tönt. Mit ein paar knappen Zeilen an die Akademie der Künste, in deren geplanten Neubau am Pariser Platz das Archiv einziehen sollte, rissen die kalifornischen Nachlaßverwalter die Berliner aus allen Träumen, endlich zum Mekka in Sachen Zwölftonmusik aufzusteigen: Die Entscheidung für Wien sei „sehr schwierig gewesen angesichts des Angebots der Stadt Berlin“, teilten die Schönberg-Söhne Ronald und Lawrence mit. Aus und vorbei – servus Wien.
Daß den Berlinern der Nachlaß aus Manuskripten und Noten, Musikaufnahmen und der Bibliothek im Wert von fast 70 Millionen Mark durch die Lappen ging, haben zu einem nicht geringen Teil Diepgen und Klemann – inklusive die knausrige Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing – zu verantworten, wenn nicht gar befördert. Schönberg war zwar aus repräsentativen Gründen zur „Chefsache“ erklärt worden, und der Regierende gab sich als der sichere Sieger nach dem 15monatigen Tauziehen, bei dem die Mitbewerber Wien, New York und Den Haag ausgestochen schienen. „Die Erben haben sich für Berlin entschieden“, ließ der „Chef“ seinen Sprecher Michael-Andreas Butz noch im September verkünden. Doch ein klares Konzept geschweige denn einen fertigen Bau konnte Eberhard Diepgen nicht bieten.
Denn während die Wiener neben dem Archiv des 1933 von den Nazis aus Berlin vertriebenen Komponisten, mit einem bestehenden Palais, einem Schönberg- Institut und dem Lehrstuhl an der Musikhochschule auftrumpften, hatte Diepgen ein gleichwertiges Programm kaum vorzuweisen. Die Umzugskosten von Los Angeles nach Berlin und die Finanzierung des Archivs wollte man bezahlen. Außerdem sei für den Kunstschatz ein Geschoß in dem umstrittenen Neubau der Akademie am Pariser Platz vorgesehen. Und genau dort liegt wohl der Hund begraben. Für die Schönberg-Erben bedeutete es immer einen Akt der Noblesse, das Archiv ihres Vaters im modernen lichten Glasgebäude des Architekten Günter Behnisch quasi „ausgestellt“ zu sehen. Doch der Glas- Akademie verweigerte der Bausenator stur die Genehmigung, weil der Entwurf ohne steinerne Fassade daherkommt.
Einen solch „absonderlichen Kasten“, monierte Klemann, werde er nicht zulassen. Die transparente Fassade zur Platzseite, durch die Behnisch in das Haus hineinsehen läßt, passe nicht in das städtebauliche Ensemble, das rund um das Brandenburger Tor wieder aufgebaut wird. Nach Klemanns Ansicht dürften in der „guten Stube Berlins“ nur historisierende steinerne Fronten gebaut werden. Zwar hat der Bausenator sein Beharrungsvermögen auf Druck der Akademie der Künste, des Bundespräsidenten und des Bauminsters vor ein paar Wochen aufgegeben. Zur Finanzierung des 100-Millionen-Mark-Projekts hat Diepgen seinen Parteifreund Klemann aber nicht energisch getrieben. Und auf Geld von der Finanzsenatorin hoffte Klemann vergebens.
Daß der Bausenator kein Verschulden bei sich erkennen kann, da er den Akademieneubau „immer gewollt“ habe und sich rechtfertigte, daß bei einem solch außergewöhnlichen Projekt „umfachreiche Diskussionen“ stattfinden müßten, klingt fast schon naiv. Denn Ronald Schönberg hatte bereits im Sommer in einem Schreiben seine Sorge bekundet. „Verzögerungen“ bedeuteten nicht nur ein „Hindernis“, vielmehr würde dadurch das Archiv-Projekt insgesamt gefährdet. Und in die Verlegenheit, daß Berlin Provisorien als Übergangslösung anbietet oder gar „am Ende nein sagt“, weil gar nicht gebaut werde, wolle man nicht kommen.
Jetzt haben die Schönberg-Erben „Nein Danke“ gesagt und ziehen nach Wien. Die Enttäuschung an der Spree ist groß und die Häme über die vergeigte Sammlung nicht minder. Zwar nimmt die Akademie den Regierenden in Schutz, dieser habe sich für das Archiv engagiert, sagte der Sekretär des Präsidenten, Hans Gerhard Hannesen. Aber er legte auch nach. Der langwierige Architekturstreit um den Neubau bildete einen „großen Unsicherheitsfaktor“ für die Absichten der Erben. Daß die Opposition aus PDS und Bündnisgrüne im Berliner Abgeordnetenhaus nun nachtritt, ist politisches Geschäft: Von Provinzposse, Unfähigkeit und unerträglicher Behinderung ist die Rede.
Richtig daran ist, daß Diepgen samt seinem Senat das Fingerspitzengefühl und schlichtweg die Kraft fehlt, aus Angeboten Profit zu schlagen. Man redet lieber von der Kulturmetropole, anstelle aus der Stadt eine zu machen. Und bis das jemand einsieht und ändert, bleibt der Stadt nur das Nachsehen: „Glückwunsch nach Wien“. Rolf Lautenschläger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen