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■ Konservative kritisieren das DM-beherrschte Europa. Die Linke hingegen verschläft das wichtigste Thema der ZeitDer Abschied vom Nationalstaat

Gibt es eine europäische Linke, links und europäisch? Der Verlauf der Euro-Debatte läßt zweifeln. In Frankreich findet die Diskussion um die Währungsunion zwischen dem gaullistischen Premier Juppé und Giscard d'Estaing statt. Der konservative Expräsident der Republik erntet minutenlange Ovationen in der französischen Volkskammer, während er den Starrsinn der deutschen Wechselkurspolitik angreift.

Der CSU-Parteitag diskutiert einen Monat vor dem Dubliner Gipfel über Europa, um den harten DM-Kurs des Finanzministers zu stärken, auch wenn damit die Währungsunion verschoben oder ganz aufs Spiel gesetzt wird. Der grüne Parteitag in Suhl hat „Europa“ gar nicht erst auf die Tagesordnung gesetzt. Zuvor scheiterte beinahe die Rückkehr Italiens in das europäische Währungssystem an den harten Bedingungen der Bundesregierung, die einen für Italiens Exportwirtschaft höchst ungünstigen Wechselkurs durchsetzte. Von linker Kritik an Waigels monetärem Fundamentalismus ist nichts zu hören.

Überraschend direkt attackiert hingegen Helmut Schmidt Anfang November die Bundespolitik: Bundesbankpräsident Tietmeyer bezichtigt er der Sabotage am europäischen Einigungsprozeß, Waigels Verlangen nach einem Stabilitätspakt kanzelt er als „deutsche Großmannssucht“ ab. Es fragt sich, warum Schmidts ungewöhnlicher Vorstoß von der sonst so regierungskritischen Linken nicht aufgegriffen wird.

Dagegen kann Schröder, weitgehend unwidersprochen, vor ausgewählten Industriekreisen in London DM-nationalistische Töne anschlagen, das deutsche Geld als „Symbol des Wiederaufstiegs aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs“ feiern und wie Waigel dafür eintreten, entweder diese harte Mark durchzusetzen oder die Währungsunion auf den Sankt- Nimmerleins-Tag zu verschieben.

Und was ist eigentlich „links“ an der KP Frankreichs, die volksverbunden ein zweites Maastricht-Referendum fordert, inhaltlich aber hauptsächlich gegen eine befürchtete Dominanz durch teutonisches Kapital mobil macht? Oder warum tritt ausgerechnet der linke Flügel der Pasok, der Anfang des Jahres nur knapp gegen den rechten Flügel des jetzigen griechischen Ministerpräsidenten Simitis unterlag, nationalistisch und antieuropäisch auf?

Leider hören wir von den Grünen, ob in Deutschland oder Frankreich, Österreich oder Finnland, selten deutlichen Einsatz für die europäische Idee. Von einem Bewußtsein, daß der Beginn der europäischen Einigung in den 50ern ein überaus erfolgreicher Versuch war, die imperialen und nationalistischen Traditionen auf dem Kontinent zu schwächen, ist wenig zu spüren. Es ist keineswegs „ein Schmarren“ (so Gerhard Schröder), daß der europäische Einigungsprozeß wesentlich dazu beitrug, Kriege zu bannen. Und es bleibt die historische Leistung der EU, daß sie allein durch ihre Existenz zum Zerfall des autoritär-sozialistischen Blocks in Mittel- und Osteuropa beitrug; sie hat diesen Zerfall nicht verursacht, aber wesentlich beschleunigt.

Die Währungsunion ist kein linkes, aber auch kein rechtes europäisches Projekt. Selbst wenn die Neokapitalisten sie nutzen wollen, um mit der Geldangleichung ihre Vorstellungen von Stabilitätspolitik durchzusetzen. Aber das werden sie auch ohne den Weg in die Einheitswährung versuchen, nur daß die Linke ihnen dann nationalwirtschaftlich und erst recht zersplittert entgegentreten müßte.

Beim gegenwärtigen Konflikt um den Euro geht es um die Frage, wie streng oder wie tolerant die Kriterien der monetären Angleichung anzuwenden sind. Beide Seiten können sich dabei auf den Unionsvertrag von Maastricht berufen. Die tolerante Auslegung beschwört dabei den Geist des Vertrages und verweist auf seine vielfältigen Anpassungs-, Übergangs- und Interpretationsregeln. Setzt sich dagegen die strenge Auslegung der fünf bekannten Kriterien durch, als deren Protagonisten die Bundesbank und die Bundesregierung gelten, wird die Währungsunion nur mit wenigen Ländern oder überhaupt nicht vollzogen. Das wäre ein Rückschlag für den europäischen Einigungsprozeß und ein Sieg der nationalistischen Kräfte in den europäischen Ländern, nicht nur in der jetzigen EU. Der Kontinent würde zwischen wirtschaftlichem Globalisierungswahn und nationalistischem Ausschließlichkeitsdenken zerrissen.

Es ist keine national getrübte Sichtverengung, wenn jenseits des Rheins und südlich der Alpen die deutsche Politik zunehmend als Gefahr für die europäischen Einigung gesehen wird. Zumal die massive fiskalische Sanierungspolitik zusammen mit einer Strategie der Steuersenkung für höhere Einkommensschichten, einer wachsenden Verelendung breiterer Bevölkerungsschichten und zunehmender Massenarbeitslosigkeit betrieben wird. Damit schwindet die gesellschaftliche Akzeptanz der Währungsunion. Gemeint ist dann in der öffentlichen Kritik der Esel – die neokapitalistische Politik –, geschlagen wird aber der Sack – die Währungsunion –, die angeblich nur mit einer solchen „Stabilitätspolitik“ geschultert werden könne.

Die europäische Linke muß sich in diesem nationalstaatlich verschleierten Konflikt einmischen und für einen termingerechten Vollzug der Währungsunion in allen Ländern eintreten, eventuell mit abgestuften Regelungen und vor allen Dingen mit einer verstärkten Öffnung für weitere EU- Beitritte. Und natürlich mit einem politischen Instrumentarium, das die Gestaltung der gemeinsamen Finanzpolitik nicht der europäischen Zentralbank und ihrem Hang zum Neokapitalismus pur überläßt. Aber auch in dieser Hinsicht geriete die Linke in die ungewohnte Gesellschaft von Jacques Delors und Helmut Schmidt, die beide die Ergänzung der Einheitswährung und eine europäische Wirtschaftsregierung fordern. Delors, der alte Fuchs des Einheitsgedankens, weiß, daß dies eine engere politische Zusammenarbeit in der EU und eine Stärkung des Europaparlaments bewirkt.

Die Währungsunion macht den Prozeß der europäischen Einigung unumkehrbar – das hat die britische Rechtsregierung, die eben darum nicht ins Boot steigen will, sehr gut begriffen. Die Einführung einer einheitlichen Währung wird nicht nur den Zahlungsverkehr verändern, sondern vor allem die europäischen Gesellschaften weiter verflechten. Dieser Schritt ist kaum mehr umkehrbar, er führt endgültig aus dem Gehäuse des Nationalstaates heraus. Davor sollte gerade die Linke nicht zurückschrecken. Hartwig Berger

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