: Chirac im TV: Ein Präsident hält Hof
In einem lange erwarteten Auftritt vor ausgewählten Journalisten will sich Frankreichs Präsident heute abend zu den Problemen des Landes äußern. Davon gibt es jede Menge ■ Aus Paris Dorothea Hahn
Seit Wochen schon raunte es durch die Paläste der Republik: „Er wird reden“, wußten die gewöhnlich bestinformierten Mitarbeiter, „im Fernsehen. Zur ganzen Nation. Bald.“ Doch der Präsident widerlegte sie alle. Er sagte nichts. Er schwieg sich durch den Lkw- Fahrer-Streik hindurch. Saß die Querschüsse gegen die Europäische Währungsunion aus. Reiste erklärungslos zum „frankophonen Gipfel“ nach Afrika. Turtelte zwischendurch demonstrativ mit seinem Freund Helmut Kohl. Und meldete sich nur einmal kurz und beruhigend zu Wort, als eine Bombe in der S-Bahn explodierte.
Erst heute abend gewährt Jacques Chirac seinen Citoyens das langersehnte Rendezvous. Zusammen mit fünf vom Élysée-Palast ausgesuchten Journalisten wird er sich eine Stunde lang im Fernsehen zeigen und über alles reden, was ansteht. Die Mitglieder der Regierungsparteien haben diesen Auftritt des Direktgewählten – den zwölften seiner Amtszeit – dringend herbeigesehnt und allerhöchste Erwartungen darauf gerichtet. Der schönste Traum von vielen Konservativen war, daß Chirac endlich die Regierung umbilden und den immer unbeliebteren Premierminister Alain Juppé schassen würde. Doch wenige Stunden vor der TV-Schau sieht es nicht nach radikalen Mitteilungen aus.
Dabei steht der von Chirac eingesetzten Mannschaft – die meisten Frauen flogen schon wenige Monate nach ihrer Ernennung wieder aus dem Kabinett – das Wasser bis zum Hals. Chiracs Amtszeit begann mit dem internationalen Eklat, den die Wiederaufnahme der französischen Atomtests auslöste. Sie führte weiter über die längsten und stärksten Streiks der jüngeren französischen Geschichte. Dann offenbarte sich die Schwäche der französischen Außenpolitik, die selbst in ihrem klassischen Einflußgebiet Afrika zunehmend Terrain an die USA verliert – was sich zuletzt bei dem mißlungenen Versuch zeigte, eine internationale Eingreiftruppe nach Zaire zu schicken. Gleichzeitig warfen Konservative und Oppositionelle immer neuen Sand in die Vorbereitungen für die Währungsunion und mehrten sich die Zeichen einer deutsch-französischen Verstimmung. Schließlich scheiterte selbst ein ureigenes konservatives Projekt: Die Privatisierung des staatlichen Rüstungskonzerns „Thomson“ mußte ob des Widerspruchs der „sieben Weisen“ zurückgezogen werden.
Auch intern sieht es schlecht aus in den Reihen der Neogaullisten. 20 Jahre nach der Gründung der Partei – der Chirac bis vor zwei Jahren vorstand, und die seither von Juppé präsidiert wird – fallen ihre Mitglieder wieder in alter Manier übereinander her. Der Graben verläuft zwischen Europafreunden wie Juppé und Europaskeptikern wie dem einstigen Innenminister Charles Pasqua und dem gegenwärtigen Parlamentspräsidenten Philippe Seguin, der lange als potentieller nächster Premierminister galt. Unverholen sprechen neogaullistische Parlamentsmitglieder von der Untauglichkeit Juppés in der Regierung. Bei wichtigen Abstimmungen allerdings folgen sie weiterhin dem Finger aus dem Élysée-Palast, der bisher noch auf Juppé zeigt.
Von außen beschießt die Justiz die Partei. Gegen mehrere Spitzenmitglieder laufen Ermittlungsverfahren. Die jüngsten – und für Chirac bittersten – richten sich gegen zwei prominente Damen. Die eine heißt Louise-Yvonne Casetta. Bis vor kurzem war sie Vize-Finanzdirektorin der RPR und sorgte – so die Richter – dafür, daß große Aufträge an Firmen vergeben wurden, die bereit waren, ein ordentliches Schmiergeld in die Parteikassen zu zahlen. Die andere heißt Xavière Tiberi und ist die Gattin von Jean, seines Zeichens Nachfolger von Chirac als Pariser Bürgermeister. Sie soll – vermittelt und ausgehandelt von ihrem Gatten – 200.000 Franc (ca. 60.000 Mark) für einen fiktiven Untersuchungsbericht an einen befreundeten RPR-Politiker kassiert haben. Gegen ihren Gatten Jean wird – noch – nicht ermittelt. Ihn lachen die Franzosen einfach aus, seit er einen Helikopter in den Himalaja schickte, um von dort einen Richter zu holen, dessen Untergebener Ermittlungen gegen den „Bürgermeister der schönsten Stadt der Welt“ begonnen hatte.
Die Lage im Land – geprägt von den immer frecheren rassistischen Verlautbarungen des rechtsextremen Populisten Jean-Marie Le Pen, der Arbeitslosigkeit, die erstmals seit vielen Jahren ein ganz klein wenig gesunken ist, und der Angst vor einer neuen Anschlagswelle wie im vergangenen Jahr – ist auch nicht erfreulich. Einziger Hoffnungsschimmer für Chirac ist da noch, daß es auf der Linken gegenwärtig keine starke Opposition gibt. Doch selbst daran könnte sich angesichts der wachsenden Mobilisierung gegen Europa demnächst etwas ändern. Schon sammeln Mitglieder der sozialistennahen „Bürgerbewegung“, der Grünen und der Kommunisten Unterschriften für ein Referendum gegen die Währungsunion. Unterstützt werden sie dabei unter anderem von Intellektuellen, die vor zwei Jahren zur Wahl Chiracs aufgerufen haben.
Wollte Chirac, dessen Sympathiewerte tiefer liegen denn je, seine citoyens heute abend mit Argumenten überzeugen und beruhigen, müßte er eine völlig andere Politik mit einer neuen Regierung ankündigen. Danach sieht es nicht aus, auch Konfrontation wird es nicht geben. Im Privatfernsehen TF1 werden statt profilierten Intellektuellen, bekannten Gewerkschaftern oder wenigstens im Umgang mit politischen Interviews erfahrenen Journalisten fünf junge Journalisten ihr Debüt feiern, die von den „Kommunikationsexperten“ des Élysée-Palastes, ausgesucht wurden. Die Themengebiete für ihre Fragen sind abgesteckt. Die präsidialen Antworten kommen zur Prime time.
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