Parteiisch? I wo!

■ Steffi Grafs Bruder drehte für Sat.1 einen Dokumentarfilm über seine Schwester: "Steffis Welt" (Sonntag, 18 Uhr)

Steffi Graf mag John Irving, sie ißt gern Pfannkuchen mit Pfälzer Spargel, und sie kann den Refrain von Radioheads Gassenhauer „Creep“ mitsingen. Das sind die aussagekräftigsten Informationen, die wir Michael Grafs Filmporträt entnehmen können. Michael Graf? Ja, der auf eine Medienkarriere spekulierende Bruder ist's, der hier sein Gesellenstück abliefert.

Was wir jedoch auch nach 55 Minuten des Eintauchens in „Steffis Welt“ leider nicht wissen: Findet Steffi Graf Drum&Bass gut? Würde sie lieber mit Madonna, Björk oder Tic Tac Toe Pfannkuchen mit Pfälzer Spargel essen gehen? Ist sie für eine kontrollierte Heroinfreigabe? Hat sie auch zu diesem oder jenem außenpolitischen Thema eine Meinung?

Ungefähr drei Monate lang war Michael Graf mit seinen Kameramännern ständig in Steffis Nähe, und natürlich durften sie viel dichter an sie ran als jemals ein Medienfritze zuvor. So sehen wir die große Schwester in ihren verschiedenen konspirativen Wohnungen (Paris, London, New York) sowie zu Hause bei Muttern. Wir sehen, wie sie telefoniert, Tennis und Fußball im Fernsehen guckt, mit ihrem Neffen spielt und wie sie sich über ein Geburtstagsständchen freut. Ja und?

Reinhold Beckmann, der sie morgen nach der Ausstrahlung des Films in „ran persönlich“ noch eine Stunde interviewen wird, findet es „bewundernswert, wie sie das ausgehalten hat“. Dabei wäre im besten Fall Steffis Cleverneß zu bewundern: Sie vermittelt dem Zuschauer das Gefühl, er sei mittendrin in ihrer Welt und nicht einfach nur dabei, und dennoch gelingt es ihr, nichts Wesentliches preiszugeben. Allerdings ist es wahrscheinlicher, daß die Informationslosigkeit des Beitrags auf Bruder Michaels Unvermögen oder die Vorgaben des leitenden Redakteurs Beckmann zurückzuführen ist.

Grundsätzlich ist es für den Zuschauer natürlich denkbar ungünstig, daß ein Star ausgerechnet von einem Familienmitglied porträtiert wird. Weil der Bruder parteiisch ist? I wo. Selbst wenn ein unverbesserlicher Steffi-Graf-Fan, der die Frau nie zuvor getroffen hat, so lange mit ihr unterwegs gewesen wäre, wäre ein ungleich besserer Film dabei herausgekommen. Nein, das eigentliche Problem ist, daß Michael Graf naturgemäß jegliche (journalistische) Neugierde fehlt.

Interessant ist so eine Zusammenarbeit zwischen Bruder und Schwester, weil sie neue Perspektiven für Prominentenporträts eröffnet: Wenn es immer mehr Fernsehsender und Produktionsfirmen gibt und immer mehr Menschen in diesem Bereich arbeiten, wird es in absehbarer Zeit der Fall sein, daß jeder Star in seinem Verwandten- und Freundeskreis jemanden hat, dem er gestattet, „persönliche“ Bilder zu drehen. Außerdem wissen die Prominenten-Geschwister mit Film- und Fernsehambitionen, dank Michael Grafs Vorarbeit, jetzt genau, wie sie zum Erfolg kommen: einfach bei Sat.1 anrufen und eine „Nahaufnahme“ in Aussicht stellen, die vermeintlich das ganze Land sehen will.

Wer jedoch meint, zwischen den Zeilen herausgelesen zu haben, daß Steffi Graf hier einen unsympathischen Eindruck mache, der irrt. Ich würde durchaus gern mal ein Mineralwasser mit ihr trinken. Aber nach diesem Porträt habe ich noch keine Ahnung, in welche Kneipe ich mit ihr gehen soll. René Martens