: Korruption und Ausverkauf
Vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen Deutschland heute (21.45 Uhr, Sat.1) im „Stadion des Lichts“ sieht es düster aus um Portugals Fußball ■ Von Theo Pischke
Lissabon (taz) – In Portugal firmiert Fußball seit einiger Zeit nicht mehr als Sport, sondern als Problem. Das sieht selbst Ministerpräsident António Guterres so, auch wenn er abwiegelnd sagt: „Wir haben größere Probleme als Fußball.“ Zu den Problemen des portugiesischen Fußballs gehören korrupte Schiedsrichter, Steuerschulden der Vereine in schwindelerregender Höhe, und bei Benfica Lissabon entdeckte die Kriminalpolizei schwarze Konten, auf die das Geld aus Spielerverkäufen am Fiskus vorbeitransferiert worden ist. Dieses Klima der Unehrlichkeit hat die Fans frustriert und die portugiesischen Stadien leergemacht. Die Umfrage einer Tageszeitung ergab, daß nur noch 18 Prozent der Portugiesen an die Ehrlichkeit des Fußballs glauben.
Dagegen ist der spanische Fußball in Portugal populär wie nie zuvor. So schaute sich Portugals Trainer Artur Jorge (50) am vergangenen Samstag das Spiel Real Madrid–FC Barcelona an. Vier portugiesische Nationalkicker spielten mit: Vitor Baia, Fernando Couto und Luis Figo im Dienste von Barça; Carlos Secretário rannte für Real. „Ich bin nicht nach Madrid gefahren, um unsere Spieler zu beobachten“, stellte Jorge klar. „Glauben Sie bloß nicht, daß ich Fernando Couto oder Figo spielen sehen wollte. Ich weiß: das sind Qualitätsspieler.“ Der Trainer wollte sich nur ein „großartiges Spiel“ anschauen, wie er noch drei Tage später schwärmte.
Beim portugiesischen Vereinsfußball wird Artur Jorge dagegen nüchtern: „Die Spiele in Portugal werden immer schwächer, weil es immer weniger große Spieler gibt.“ So sind zehn von 20 Fußballern, die er für das Spiel gegen Deutschland ins Aufgebot berufen hat, bei ausländischen Clubs unter Vertrag. Erst vor zwei Wochen wechselten wieder zwei Nationalspieler ins Ausland: Verteidiger Helder Cristovao ging von Benfica Lissabon zum spanischen Verein Deportivo La Coruna, sein einstiger Teamkollege Dimas Teixeira zu Juventus Turin.
Die beiden Lissaboner Traditionsclubs Benfica und Sporting stellen nur noch einen Spieler im Nationalteam, der FC Porto dagegen sechs. Der portugiesische Meister führt in der laufenden Saison mit drei Punkten Vorsprung vor Benfica. Und auch in der Champions League ist der FC Porto bisher sehr erfolgreich: Neben Juventus Turin ist er der einzige ungeschlagene Verein. Portos António Folha schoß beim letzten Länderspiel gegen Deutschland, das Portugal 2:1 verlor, das einzige Tor für die Portugiesen. In der Nationalmannschaft spielt er oft besser als in seinem Club. Dort hat er nicht einmal einen Stammplatz.
Portos Starstürmer Domingos Paciência ist verletzt und wird nicht spielen. Der ebenfalls beim FC Porto spielende Jorge Costa kuriert den Nasenbeinbruch aus, den ihm George Weah nach dem Spiel gegen AC Mailand mit einem Ellenbogencheck im Kabineneingang zugefügt hat. Verletzt sind auch Paulo Bento, Ricardo Sá Pinto und Paulo Sousa, der bei Borussia Dortmund unter Vertrag steht. Die Aufstellung von Sousa ist von Artur Jorge nie in Erwägung gezogen worden. „Paulo Sousa hat mich vor zwei Wochen angerufen, und ich habe ihm gesagt, daß es für eine Rückkehr in die Nationalmannschaft noch zu früh ist“, sagt der Trainer.
„Wir haben viele Verletzte, doch die Deutschen auch“, gibt sich Artur Jorge jedoch unbesorgt. Er trainiert die Nationalmannschaft seit Beginn der WM-Qualifikation. Zuvor hatte er in seiner kurzen Zeit als Schweizer Nationalcoach keinen einzigen Sieg verbuchen können. Und auch als Trainer des portugiesischen Teams konnte er zu Beginn nicht überzeugen. Das erste Qualifikationsspiel gegen Armenien endete 0:0. Im zweiten verlor Portugal gegen die Ukraine 2:1. Mit Siegen gegen Albanien (3:0) und in der zweiten Begegnung gegen die Ukraine (1:0) konnte Artur Jorge jedoch wieder Boden gutmachen.
Aber der studierte Germanist, der seinen Trainerschein in Leipzig gemacht hat, ist das Lavieren zwischen „Hosianna“ und „Kreuzige ihn“ gewöhnt. So wurde er 1987 umjubelt, als er mit dem FC Porto gegen Bayern München den Europapokal der Landesmeister gewann. Dagegen wurde er als Trainer von Benfica zu Saisonbeginn 1995 nach nur drei Spieltagen in die Wüste geschickt. Insgesamt gewann er in Portugal als Vereinstrainer drei Meisterschaften und einen Pokal. In Frankreich führte er 1992/93 Paris Saint Germain zur Meisterschaft.
Die portugiesischen Fans achten Artur Jorge. Doch richtig warm geworden sind sie nicht mit dem Liebhaber von klassischer Musik und Literatur, der mit dem Buch „Scheitelpunkt des Wassers“ auch als Schriftsteller hervorgetreten ist.
Der oft grüblerisch wirkende Artur Jorge gibt sich vor dem Spiel gegen Deutschland kämpferisch: „Wir spielen auf Sieg.“ Aber dann schiebt er vorsichtig nach: „Ich glaube, beide Mannschaften wollen gewinnen.“ Er rechnet mit einem vollen Estádio da Luz in Lissabon, denn: „Die Portugiesen lieben guten Fußball.“
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