: Machtwechsel nicht mehr undenkbar
Die Demonstrationen der serbischen Opposition zwingen Präsident Milošević in die Defensive. Erste Gerichtsentscheide zugunsten von Zajedno zeigen überfällige Kurskorrektur an ■ Aus Split Erich Rathfelder
Unbeirrt demonstrieren die Oppositionellen in Serbien weiter gegen das Regime von Slobodan Milošević. Auch gestern gingen wieder Zehntausende auf die Straße. Am Wochenende strömten 200.000 Menschen in Belgrad zur Demonstration. Vielleicht noch wichtiger aber: Der Protest dehnte sich sogar auf mehr als 30 Städte des Landes aus.
„Die Serben sind schwer zu mobilisieren, aber wenn sie sich mal ein Ziel gesetzt haben, dann sind sie nicht mehr so leicht von ihrem Kurs abzubringen“, erklärte vor wenigen Tagen Milena Popović, eine Parteigängerin der Serbischen Erneuerungsbewegung und Autorin eines Buches über die serbische Opposition in Belgrad. Von einem Abbröckeln der Bewegung kann deshalb auch nach 29 Demonstrationstagen keine Rede sein.
Angesichts des internationalen Drucks scheint das Regime jetzt bereit zu sein, wenigstens kleinere Zugeständnisse zu machen, um die Lage im Land wieder zu entspannen. Die Opposition ist vom Bezirksgericht in der südserbischen Stadt Niš darüber informiert worden, daß das Gericht der Wahlkommission den Auftrag erteilt habe, den Sieg der Opposition bei den Kommunalwahlen vom 17. November zu bestätigen. Zuvor hatte sich das Gericht die Wahlunterlagen von der Wahlkommission überstellen lassen. Auch in der Stadt Semderevska Palanka, 75 Kilometer südöstlich von Belgrad, hat das Gericht dem Oppositionsbündnis Zajedno den Wahlsieg zuerkannt. Im Stadtparlament hat Zajedno nun 25 Sitze, die Sozialistische Partei von Milošević 24.
An die Unabhängigkeit der Gerichte zu glauben fällt freilich schwer in einem Staat, in der die herrschende Sozialistische Partei in allen wichtigen Institutionen das Sagen hat. Zwar hatten schon vor zehn Tagen über 80 Richter gegen die Entscheidung des Obersten Gerichts Serbiens und der Bundesrepublik Jugoslawien ( Föderation aus Serbien und Montenegro) protestiert und damit versucht, die Ehre ihres Berufsstands zu retten. In Belgrad jedoch ist allen klar, daß eine Entscheidung wie in Niš wohl kaum aus freien Stücken zustande gekommen ist.
Auch das Angebot Miloševićs, eine OSZE-Delegation ins Land zu lassen, die die Wahlergebnisse überprüft, muß als Teilzugeständnis verstanden werden. Auf der Seite der OSZE ist man offensichtlich bereit, ein grundsätzliches Engagement zu erwägen. Der OSZE- Repräsentant in Sarajevo, Frowick, erklärte am Samstag, es werde auch diskutiert, der OSZE bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Serbien im kommenden Frühjahr überwachende Aufgaben zuzuweisen. In Hintergrundgesprächen mit Oppositionsführern hatte sich aber letzte Woche herauskristallisiert, daß die Opposition zwar bedingt zu Gesprächen mit der Regierung bereit ist, jedoch erst in Verhandlungen treten will, wenn die Kommunalwahlergebnisse vom 17. November umfassend bestätigt werden. Dann müßte auch über die Herstellung der Pressefreiheit gesprochen werden und über das Engagement der OSZE beim Wahlprozedere. Keinesfalls wollen die Oppositionsführer Vuk Drašković, Vesna Pešić und Zoran Djindjić das Gesetz des Handelns an internationale Vermittler abtreten. Vor allem die Vertreter der EU, wie der italienische Außenminister Dini, stünden in Gefahr, Milošević unnötige Zugeständnisse zu machen.
In den USA dagegen scheint der bisher auf Milošević abgestimmte Kurs bereits geändert worden zu sein. US-Emissär John Kornblum traf in Genf mit Vuk Drašković zusammen. Von Madeleine Albright, der neuen Chefin im Außenministerium, ist ab Januar ohnehin mit einem härteren Kurs gegenüber Milošević zu rechnen. Die Zeichen der Zeit werden jetzt auch von Politikern erkannt, die bis vor kurzem noch als sehr nachgiebig gegenüber der Politik des serbischen Präsidenten galten. So erklärte der internationale Wiederaufbaubeauftragte Carl Bildt, Milošević sollte zurücktreten.
Im Hintergrund zeichnet sich tatsächlich eine Lösung für die innenpolitische Krise ab. So wollen einige der internationalen Vermittler Milošević nahelegen, auf die von ihm angestrebte Verfassungsreform zu verzichten. Bisher hatte dieser nämlich geplant, vom serbischen zum jugoslawischen Präsidenten aufzurücken, da er nach zwei Amtsperioden nicht mehr serbischer Präsident werden kann. Deshalb zielt er darauf ab, mit der Mehrheit seiner Partei und der Vereinigten Linken seiner Ehefrau im gesamtjugoslawischen Parlament Verfassungsänderungen durchzusetzen, die dem jugoslawischen Präsidenten mehr Macht geben und zugleich die serbische Präsidentschaft entwerten. Sollte er mit einer solchen Verfassungsänderung scheitern, wäre ein reibungsloser Machtwechsel in Serbien zumindest vorstellbar.
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