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Plattitüden über den AKW-Widerstand

Der Kölner Verfassungsschutz hat eine Broschüre über die Anti-Castor-Kampagne verfaßt: eine öffentliche und eine interne. Den rechten Durchblick bringen beide nicht  ■ Aus Berlin Wolfgang Gast

Was Sie schon immer über den Widerstand der Atomkraftgegner im Wendland wissen wollten – der Verfassungsschutz unterrichtet Sie. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) verbreitet zur Zeit unter dem Titel „Linksextremistische/militante Bestrebungen im Rahmen der Anti-Castor-Kampagne“ eine 23seitige Broschüre. Mit Stand vom Oktober 1996 wird darin die Diskussion um die Widerstandskonzepte gegen die Transporte abgebrannter Brennelemente ins atomare Zwischenlager in Gorleben referiert. Aufgeführt werden die Gruppen, „die Gewalt praktizieren, propagieren bzw. tolerieren“. Das Heftchen der Kölner Behörde führt auch die Schriften auf, die Anleitungen zu Sabotagehandlungen enthalten.

Als Ausgangslage führen die beamteten Verfassungsschützer an, die Atomkraftgegner würden nach neuesten Erkenntnissen verstärkt eine „räumliche Ausweitung und Intensivierung ihrer Aktionen“ anstreben. Taktisches Ziel sei, „den finanziellen Aufwand für Schutz- und Sicherungsmaßnahmen bei der Durchführung von Castor-Transporten in eine wirtschaftlich nicht mehr vertretbare Höhe zu treiben, die letztlich politisch nicht zu rechtfertigen wäre“. Die Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik sollten so genötigt werden, aus der Atomtechnologie auszusteigen.

Als Träger des Widerstandes hat der Verfassungsschutz die verschiedensten Gruppierungen ausgemacht. Zum Beispiel die autonomen Gruppen. Diese, heißt es beim Verfassungsschutz, versuchten jetzt, in der überwiegend gewaltfreien Anti-AKW-Szene rund um Gorleben für ihre militanten Konzepte zu werben. Neu sind solche Bestrebungen nun gerade nicht. Interessanter wäre schon, ob solche Werbeversuche Erfolg haben. Doch dazu findet sich in der Broschüre nichts. Den Autonomen folgt in dem Heft unter dem Stichwort anarchistische Gruppen die „Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen“. Wir erfahren: „Die anarchistische Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen (FöGA) beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Widerstand gegen Castor-Transporte. Angehörige der FöGA sind im Wendland aktiv.“ Ende der Durchsage, Erkenntniswert Null.

Wenig besser ist das anschließende Kapitel über revolutionär- marxistische Gruppen. DKP und KPD heißt es eingangs, befaßten sich „insbesondere publizistisch mit dem Thema“. Zur DKP ist damit schon alles gesagt. Über die KPD heißt es, sie unterstelle der Anti-AKW-Bewegung im Hinblick auf ihren Kampf gegen die kapitalistische Atomwirtschaft „pazifistische Illusionen“. Mitglieder der KPD seien bei den Protestaktionen bisher aber noch gesichtet worden. Der geneigte Leser fragt sich, warum dann die Splittergruppen namens DKP und KPD überhaupt Eingang in die Broschüre gefunden haben.

Wo Verfassungsschutz draufsteht, muß auch PDS drin sein. Wir lesen: „Verlautbarungen und Äußerungen aus dem Bereich der PDS machen deutlich, daß die Partei in der Anti-Castor-Kampagne ein wichtiges publizistisches Aktionsfeld sieht.“ Die Partei, das sind in diesem Fall die beiden Mitglieder der Bonner Bundestagsgruppe Eva Bulling-Schröter und Rolf Köhne. Beide haben Aufrufe zur Schienendemontage im Wendland unterstützt. Der eine wurde bei einer solchen Aktion von der Polizei erwischt, die andere hat den Aufruf in einer Sitzung des Bundestages verteidigt. Dem Parteivorstand wird eine Erklärung vom 29. Juli vorgehalten, in der er zur konsequenten Unterstützung der Anti-AKW-Bewegung aufgerufen hat. Das Resümee aber: „Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die PDS vor Ort Aktionen militanter Kernkraftgegner unterstützt, bedarf noch der Klärung.“

Bleibt schließlich die „Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow- Dannenberg (BI)“, deren Rolle wie folgt beschrieben wird: „Der Widerstand gegen die Lagerung von Atommüll wird wesentlich von der – nicht linksextremistischen – BI getragen.“ Einerseits hebe die Bürgerinitiative „Gewaltlosigkeit als oberstes Handlungsprinzip hervor“, andererseits propagiere sie aber den zivilen Ungehorsam in „strafrechtlich relevantem Sinne“. Als ziviler Ungehorsam werde etwa das Entfernen von Schotter, das Herausschrauben von Bolzen oder das Zersägen von Schienen angesehen.

Der Verfassungsschutz wäre kein Nachrichtendienst, wüßte er nicht ein wenig mehr, als er öffentlich bekanntgibt. Amtsintern kursiert eine erweiterte Version des 23seitigen Wendland-Berichts als Verschlußsache. Über den öffentlichen Bericht hinaus werden darin einzelne Personen und fünf „relevante Szeneobjekte“ aufgelistet. Über die Vorsitzende der BI Lüchow-Dannenberg, Birgit Huneke-Jürgensen, heißt es etwa, sie vertrete die Meinung, über die nächsten Castor-Transporte werde nicht bei Gericht entschieden, „sondern auf der Straße“. Ihre „besondere Rolle bei der Leitung der Gewaltaktionen am 12. August“ (gemeint ist eine Aktion von etwa 250 Atomkraftgegnern an der Umladestation für Castor-Behälter, bei der ein Behelfszaun zerstört und 30 Metallzaunpfähle herausgerissen wurden, d. Red) „kennzeichnet ihre militante Einstellung“. Die BI-Chefin kam allerdings erst zu der Aktion, als diese schon beendet war.

Auch die Wohngemeinschaft der BI-Vorsitzenden erregt die Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes. Eine Mitbewohnerin Huneke-Jürgensens habe 1993 Briefe an eine inhaftierte RAF-Sympathisantin und an die verhaftete RAF-Frau Birgit Hogefeld geschrieben. Weiter: Im März 1996 habe sie schließlich „den RAF-Inhaftierten Rolf Heißler“ im Gefängnis besucht. Ins Visier der Verfassungsschützer ist unter anderem auch der „Verein Kurve Wustrow“ in der gleichnamigen Ortschaft geraten.

Das Haus für internationale Begegnung organisiert und trainiert gewaltfreies Training für Blockierer. Dessen Mitgliedern wird allerdings vom Verfassungsschutz vorgeworfen, Gewalt gegen Sachen zu rechtfertigen, „trotz ihres verbalen Bekenntnisses zur Gewaltfreiheit“.

In beiden Berichtsversionen wird als Kernpunkt eines angeblich neu angedachten Widerstandskonzeptes unter den Gegnern der Castor-Transporte die Aussage angeführt: „Die Orientierung auf die Bahn hat sich als Element bewährt und wird sicherlich ihren Platz im zukünftigen Widerstand finden“. Wollte man die Worte Bahn durch AKW-Gegner und Widerstand durch Apparat ersetzen, die Haltung der Verfassungsschützer ließe sich besser kaum beschreiben.

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