: Leg es zu dem übrigen
Goebbels glaubte an sein Renommee für das „neue Deutschland“: Vor 60 Jahren wurde Thomas Mann dennoch die Ehrendoktorwürde der Universität Bonn aberkannt ■ Von Pascal Beucker und Anja Krüger
„Fast hätt' ich es vergessen: Mitteilung der philos. Fakultät von Bonn über Aberkennung des Ehrendoktors als Folge der Ausbürgerung – Antwort erwogen.“ Mit diesen knappen Worten notierte Thomas Mann am ersten Weihnachtstag 1936 die Nachricht über den Entzug seiner ihm 1919 verliehenen Ehrendoktorwürde. Am 19. Dezember 1936 hatte der Dekan der philosophischen Fakultät dem „Herrn Schriftsteller Thomas Mann“ mitgeteilt, daß dieser aus der Liste der Ehrendoktoren gestrichen worden sei. Mit dem Entzug der Ehrendoktorwürde wurde die letzte Verbindung zwischen dem Dritten Reich und Thomas Mann gekappt. 13 Tage zuvor, am 6. Dezember 1936, war Mann die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen worden.
Das nationalsozialistische Regime hatte lange gezögert, bis es sich zu einem offenen Bruch mit dem Literaturnobelpreisträger von 1929 entschloß. Thomas Manns Werke waren nach der Machtübernahme aus den Bibliotheken und Schulen verbannt und als „undeutsch“ verfemt worden. Aber noch im Oktober 1936 erschien sein „Joseph in Ägypten“ in Deutschland. Einerseits bestand gegen Mann seit Mitte 1933 ein Schutzhaftbefehl der Bayerischen Politischen Polizei wegen „antinationaler Einstellung“ – was bei einer Ergreifung der Inhaftierung im Konzentrationslager Dachau gleichgekommen wäre. Andererseits versuchte das Auswärtige Amt, Sanktionen gegen den Schriftsteller auf ein Maß zu begrenzen, das keine internationalen Verwicklungen zur Folge hatte. Zudem bemühte sich Joseph Goebbels' Propagandaministerium immer wieder, Thomas Mann zur Rückkehr zu bewegen, da es sein Renommee für das „neue Deutschland“ nutzen wollte – auch noch, nachdem Mann am 16. Januar 1934 offiziell seinen Wohnort von München in den Schweizer Ort Küsnacht bei Zürich verlegt und damit amtlich dokumentiert hatte, daß er nicht daran dachte, nach Deutschland zurückzukehren.
Die ambivalente Haltung des nationalsozialistischen Regimes korrespondierte mit einem indifferenten Verhalten Thomas Manns. Er vermied lange eine eindeutige Stellungnahme zu den politischen Verhältnissen in Deutschland. Zwar hegte Mann in keiner Weise Sympathien mit den neuen Machthabern, aber er sah sich mit dem Land, der „Nation“ verbunden.
Mann schweigt, andere emigrieren
Manns Position zum Nationalsozialismus war durch seine bewußte dauernde Abwesenheit von Deutschland markiert. Unter den deutschen Emigranten – auch gerade bei seinen Kindern Klaus und Erika, die bereits 1934 beziehungsweise 1935 ausgebürgert worden waren – führte Manns Haltung zu äußerster Verbitterung. Noch im Januar 1936 schrieb Erika Mann ihrem Vater: „Falls es ein Opfer für Dich bedeutet, daß ich Dir, allmählich, aber sicher, abhanden komme –: leg es zu dem übrigen. Für mich ist es traurig und schrecklich.“ Kurt Tucholsky stellte im Sommer 1935 fest, Thomas Manns Verhalten sei „skandalös“: „Wir dürfen schweigen – er durfte es nicht.“ Am 15. Dezember, unmittelbar vor seinem Tod, beklagte Tucholsky in einem Brief an Arnold Zweig „das Theater der Verzweiflung, die noch in so einem Burschen wie Thomas Mann einen Mann sieht, der Nobelpreisträger, der sich nicht heraustraut und seine ,harmlosen‘ Bücher in Deutschland weiter verkaufen läßt“.
Erst Anfang 1936 sah sich Thomas Mann gezwungen, eindeutig Position zu beziehen. Er reagierte auf einen Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung, in dem der Schweizer Feuilletonist Eduard Korrodi mit antisemitischer Stoßrichtung versucht hatte, die emigrierten deutschen Schriftsteller zu spalten – und dabei noch positiv auf Mann Bezug genommen hatte. Thomas Mann sah sich von der falschen Seite vereinnahmt und zu einer eindeutigen Stellungnahme gezwungen. In einem offenen Brief, der ebenfalls in der NZZ erschien, machte er seine ablehnende Position zum Nationalsozialismus unmißverständlich deutlich: „Die tiefe, von tausend menschlichen, moralischen und ästhetischen Einzelbeobachtungen und -eindrücken täglich gestützte und genährte Überzeugung, daß aus der gegenwärtigen deutschen Herrschaft nichts Gutes kommen kann, für Deutschland nicht und für die Welt nicht – diese Überzeugung hat mich das Land meiden lassen, in dessen geistiger Überlieferung ich tiefer wurzele als diejenigen, die seit Jahren schwanken, ob sie es wagen sollen, mir vor aller Welt mein Deutschtum abzusprechen.“
Der Schmähung folgte eine Generalattacke
Nun erwartete Mann seine Ausbürgerung. Er hatte öffentlich den Bruch vollzogen – allerdings war er sich „noch gar nicht mal sicher, daß die regierende Bande zurückschlagen wird“, wie er Hermann Hesse mitteilte: „Olympiade und Außenpolitik sprechen dagegen.“ So war es denn auch: Die Nationalsozialisten planten die Ausbürgerung, vollziehen sie aber erst am Ende des Jahres, am 6. Dezember 1936. Thomas und seine Frau Katia Mann hatten ihrerseits bereits zwei Wochen zuvor die tschechische Staatsbürgerschaft angenommen. Am 19. Dezember erfolgte der Entzug der Ehrendoktorwürde durch die Universität Bonn.
Die Aberkennung der Bonner Ehrenpromotion war nicht die erste, nicht die letzte und sicher nicht die schlimmste Schmähung, der Thomas Mann durch die Nationalsozialisten und ihre Verbündeten ausgesetzt war, doch er nutzte sie zu der lang erwarteten Generalattacke auf den nationalsozialistischen Staat. In einem offenen Brief an den Dekan der philosophischen Fakultät der Universität Bonn rechnete er mit dem menschenverachtenden, kriegstreibenden nationalsozialistischen Regime ab. Der Zürcher Verleger Oprecht veröffentlichte am 15. Januar 1937 Manns offenen Brief zusammen mit der Mitteilung des Bonner Dekans über die Aberkennung der Ehrendoktorwürde unter dem Titel „Ein Briefwechsel“. Die Schrift verbreitete sich in kurzer Zeit in der ganzen Welt, wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Das „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ erteilte am 27. Januar 1937 die Weisung: „Thomas Mann soll ausgelöscht werden aus dem Gedächtnis aller Deutschen, da er nicht würdig ist, den Namen Deutscher zu tragen.“ Daher sei jede Beschäftigung mit Mann in deutschen Zeitungen „absolut unerwünscht“.
Für die Universität Bonn ist die Aberkennung der Ehrendoktorwürde Manns ein düsteres Kapitel. War es ein Akt von vorauseilendem Gehorsam, der die geistige Gleichschaltung der Universität dokumentieren würde und recht unangenehm wäre aufgrund der vielfältigen Kontinuitäten des akademischen Personals nach 1945, oder befolgte man ausschließlich Anweisungen der politischen Ebene? Der damalige Dekan der philosophischen Fakultät (und SSler), Karl Justus Obenauer, erklärte Mitte der sechziger Jahre, seine Mitteilung an Mann beruhte auf einer Weisung des zuständigen Ministeriums.
Dagegen spricht allerdings die kurze Zeitspanne zwischen Ausbürgerung und Aberkennung. Auch konnte sich Obenauer 1947 bei einem Spruchgerichtsverfahren nur an eine Weisung von Rektor und Kurator erinnern – nicht an eine ministerielle Direktive. Der seinerzeit amtierende Rektor und Kurator Karl Schmidt behauptete 1948 gar, er hätte eindringlich versucht, die Aberkennung zu verhindern. Nachdem dies erfolglos geblieben sei, habe er Obenauer gebeten, Mann das Aberkennungsschreiben als zuständiger Dekan zukommen zu lassen. Ein Jahr später sah er sich bereits zu einer Relativierung gezwungen: Das Reichserziehungsministerium hätte nur gegen den Wunsch von ihm und Obenauer die Aberkennung angeordnet. Im selben Schreiben stellt er jedoch fest: „Niemand der Bonner Hochschullehrer hat ebenso wenig wie irgendeine andere Persönlichkeit versucht, den Entzug aufzuhalten.“
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