piwik no script img

Vor der japanischen Residenz in Lima spielen sich dramatische Szenen ab. Familien warten auf ihre Angehörigen, die von der Guerilla Tupac Amaru als Geiseln gehalten werden. Unterdessen inspizieren peruanische und japanische Sicherheitsmänner den Schauplatz. Setzt Präsident Alberto Fujimori am Ende doch noch auf eine gewaltsame Lösung? Aus Lima Ingo Malcher

Hoffen auf das erlösende Wort

Onkel Lalito“, steht mit blauer Schrift auf dem Pappschild, „wir sind bei Dir.“ Der Junge, der das Schild über seinen Kopf hält, ist Cesar Bazan. Zusammen mit seiner Schwester Maribel steht er hinter der Polizeiabsperrung vor der Residenz zwischen unzähligen Kamerateams und Fotografen. „Onkel Lalito“, wie sie ihn beide nennen, ist eine der Geiseln des Guerillakommandos der MRTA in der Residenz des japanischen Botschafters in Lima. „Wir wollen, daß Verhandlungen zwischen der Regierung und der MRTA eine friedliche Lösung ermöglichen“, sagt Cesar Bazan. Mehrere zehntausend Peruaner waren am Wochenende für eine friedliche Lösung der Krise auf die Straße gegangen. Hinter den Polizeiabsperrungen vor der Residenz forderten sie Verhandlungen und die Freilassung aller Geiseln.

Doch wie soll, wie kann eine friedliche Lösung aussehen? Cesar Bazan will, daß die Regierung auf „einige, aber nicht alle Forderungen der Terroristen eingehen muß“. Die neben ihm stehende Monica Ruiz ist da anderer Meinung. Die alte Frau möchte, daß die Guerilleros „mit leeren Händen die Residenz verlassen“. Mit lauter Stimme ruft sie: „Daß sie rauskommen wie richtige Männer“. Ihre Forderung ist auch jene Linie, die der peruanische Präsident Alberto Fujimori vorgibt. „Meine Regierung ist nicht bereit zu akzeptieren, daß Gewalt und Verbrechen eines Terrorkommandos 23 Millionen Menschen aufgezwungen werden, die solche Methoden ablehnen“. Erst nach langem Zögern hatte sich Fujimori zu der Geiselnahme geäußert. Sein Vorschlag, auf den die Guerilla bis gestern noch nicht geantwortet hatte: die MRTA solle ihre Waffen vor einer Kommission von Garanten abgeben und alle Geiseln freilassen. In einem solchen Fall „würde die Regierung eine Gewaltanwendung des peruanischen Staates ausschließen“, versprach Fujimori. Ob die Guerilleros in einem solche Falle freies Geleit bekämen, sei dann zu „untersuchen“.

Dem Angebot der MRTA zu einem Friedensvertrag erteilte Fujimori eine deutliche Absage. Man könne nicht „von Frieden noch von Vertrag sprechen, wenn man den Terror als Hauptargument benutzt“. Vehement verteidigt sich Fujimori gegen den Vorwurf, seine Regierung sei gegen Verhandlungen mit der MRTA. Ein deutliches Zeichen für die Dialogbereitschaft sei doch immerhin die Ernennung des Erziehungsministers Domingo Palermo als Beauftragten für die Verhandlungen. Palermo aber gilt als Mann ohne eigene Meinung, der seinem Präsidenten blinden Gehorsam erweist. In seiner Botschaft unterstrich Fujimori denn auch seine harte Linie: Eine Freilassung von 400 inhaftierten MRTA-Kämpfern komme nicht in Frage. Fujimoris Äußerungen wurden von Maribel Bazan und ihrem Bruder mit Skepsis aufgenommen. „Wir haben Angst, daß die Regierung die Armee schickt, um alles zu beenden“, fürchtet sie. Und Cesar meint, das sei doch, „was die Regierung will“.

Unterdessen spielten sich am Wochenende in der Nähe der Residenz des japanischen Botschafters Szenen ab, die Gerüchte nähren, die Residenz solle doch mit Waffengewalt gestürmt werden. Hoch dekorierte peruanische Sicherheitsbeamte in Uniform studierten mit Japanern in Zivil gemeinsam die Lage rund um die Residenz, sahen sich Lagepläne an. Als ein japanisches Fernsehteam sie dabei aufnehmen will, halten sich die Japaner ihre Hände vor das Gesicht, um nicht erkannt zu werden, und laufen weg. Schließlich wechseln sie die Richtung. Zur gleichen Zeit führt auf dem Platz vor der Residenz eine Gruppe von Indigenas einen Tanz für eine friedliche Lösung auf.

Mit einem Säbel fegen sie verstreute Blätter auf ein gelbes Tuch. Einer hält ein Pappschild, „Exodus Nein“ steht darauf, ein anderer schwenkt eine kleine weiße Fahne, die kaum größer ist als ein Tempotaschentuch. Auf der anderen Straßenseite singt eine Gruppe von Menschen im Chor. Ein alter Mann klopft auf die dunkelbraune Holzkiste, auf der er sitzt, um den Takt anzugeben. Er singt immer eine Strophe vor, dann setzen die anderen ein. Das Stück endet mit der Zeile: „Der Mensch hat einen guten Willen.“ Zwei Paare, ganz in Weiß gekleidet, bieten peruanische Volkstänze dar. Viele haben sich das Motto der Demonstration ans Hemd gesteckt: „Mit Dir Peru“.

Als ob es eine Antwort auf die Demonstration vom Nachmittag sein sollte, ließ die MRTA Sonntag nacht gegen 22 Uhr weitere 225 Geiseln frei. Wie die Guerilleros in einem Kommuniqué mitteilten, geschah dies wegen des kommenden Weihnachtsfestes – und um ihre Verhandlungsbereitschaft zu betonen. Die befreiten Geiseln sind vor allem Geschäftsleute, darunter viele Japaner.

In der Residenz des japanischen Botschafters sollen damit noch 140 Menschen in den Händen der MRTA verblieben sein — Diplomaten aus Asien und Lateinamerika sowie Mitglieder der peruanischen Regierung, unter ihnen der Chef der Antiterroreinheiten der Polizei. Die MRTA will sie erst freilassen, wenn die Regierung ihre Forderungen erfüllt hat.

In Gruppen zu jeweils 25 konnten die Geiseln die Residenz verlassen. Mit Linienbussen wurden sie in das Polizeikrankenhaus von Lima gebracht. Darunter sind auch die letzten beiden deutschen Geiseln, der stellvertretende Botschafter Jürgen Steinkrüger und der Entwicklungshilfereferent Hannspeter Nintzel. Als die Busse die wartende Menschenmenge vor der Residenz erreichen, werden sie mit Applaus begrüßt. „Dort ist Papa“, brüllt eine Mutter, die mit ihren drei Töchtern kam, als sie ihren Mann hinter den Scheiben erkennt.

Eine Reaktion der Regierung auf die Freilassung gab es bis gestern noch nicht. Weder Fujimori noch der für die Verhandlungen zuständige Erziehungsminister Palermo ließen sich zu einer Antwort hinreißen. Dafür hatte sich aber schon am Samstag abend ein anderes Regierungsmitglied, das weiterhin Geisel der MRTA ist, zu Wort gemeldet. Der peruanische Außenminister und Kanzler Francisco Tudela sagte einem Radiosender zu der Blockadehaltung der Regierung: „Wir wollen, daß die Regierung die von der MRTA unterbreiteten Punkte prüft.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen