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Wem nutzt Ökotourismus?

Auch in Guatemala boomt die Regenwaldtour. Doch bislang fällt für die Bewohner des Waldes vom Geschäft mit den Urlaubern nur wenig ab  ■ Von Andreas Boucke

Sechs Uhr morgens, mitten im Dschungel von Guatemala. Langsam schwindet der Nebel und öffnet die Sicht auf das scheinbar endlose Grün des Waldes und die Ruinen der antiken Mayastadt Tikal. Auf dem Turm des Tempel IV, des höchsten Gebäudes von Tikal, sind nahezu hundert Touristen eingetroffen. Gebannt schauen sie nach Osten, um einen Blick auf das Rot des Sonnenaufgangs zu erhaschen. Sobald der Tag angebrochen ist, werden sie wieder ihren Touristenführern folgen, die ihnen auf Englisch, Französisch oder Deutsch archäologische Erkenntnisse über die antike Mayakultur erläutern.

Die ausländischen Touristinnen und Touristen haben in Drei-Sterne-Hotels nahe der Ruinen übernachtet und in dem teuren Restaurant des Parks zu Abend gegessen. In wenigen Stunden werden sie in dem Bus ihrer Agentur zurück zum Flughafen fahren.

Für Guatemala ist der Tourismus die zweitwichtigste Deviseneinnahmequelle – nach Kaffee. Das weiß auch Pablo Vidor von Inguat, der staatlichen Tourismusbehörde: „Von dem traditionellen Tourismus profitieren aber vor allem große, reiche Unternehmen, die ohne eine Vision der Naturbewahrung und des Respekts gegenüber der einheimischen Kultur arbeiten. Sie benutzen die Attraktionen des Landes und hinterlassen nur zu oft ihren Müll. Der Bevölkerung hilft das wenig.“

Jahr für Jahr besuchen rund 500.000 Touristen aus aller Welt den guatemaltekischen Urwald und die Mayaruinen von Tikal. Manche Agenturen bieten Exkursionen in die umliegenden Gemeinden an, zum Beispiel nach Uaxactún. Julio Carudo, Gemeinderat von Uaxactún, sagt: „Wir fühlen uns schlecht und gedemütigt. Die Busse der Agenturen verschmutzen unsere Umwelt. Die Touristen hinterlassen ihre leeren Getränkedosen. Sie fotografieren unsere Kinder, als ob es Zootiere wären, aber sie geben im Dorf kein Geld aus. Meist kaufen sie nicht einmal unsere Kunstgegenstände und Souvenirs. Für das Dorf hinterlassen sie nichts Gutes.“

Das guatemaltekische Urwaldgebiet Petén leidet unter einer schnell fortschreitenden ökologischen Zerstörung. Innerhalb von nur dreißig Jahren sind nahezu fünfzig Prozent des Dschungels abgeholzt worden. Trotzdem beherbergt der Petén noch immer den weltweit siebtgrößten tropischen Regenwald. Die Touristen tragen aber nur zu einem sehr geringen Maße zur Waldzerstörung bei, die vor allem auf die hohe Einwanderungsrate in den Petén und das Geschäft mit Mahagoni- und Zedernhölzern zurückzuführen ist. Der Tourismus könnte helfen, die Entwaldung aufzuhalten. Pablo Vidor von Inguat erklärt: „Seit einiger Zeit arbeiten wir an einem neuen Konzept des Ökotourismus. Die Idee ist, daß die Bewohner der besuchten Gemeinden eigene Tourismusprogramme durchführen und als archäologische und ökologische Führer arbeiten. Sie könnten den Transport mit Flößen oder Pferden übernehmen und Verpflegung und Unterkunft stellen.“ Die guatemaltekische Regierung unterstützt dieses Konzept in der Hoffnung, daß durch den Ökotourismus alternative Einkommensquellen geschaffen werden, die der Bevölkerung die Möglichkeit geben, ihre Maisfelder weniger intensiv zu bearbeiten. In den Tropen ist Ackerbau auf Grund der dünnen Humusschicht des Bodens nur dann einträglich, wenn immer wieder neue Waldgebiete gerodet werden. Ökotourismus könnte also einen Beitrag zum Schutz des Regenwaldes leisten.

Nidia Alvares, Direktorin des Naturschutzgebiets Petencito, unterstützt die Idee des Ökotourismus, warnt aber vor Etikettenschwindel: „Der Ökotourismus, den einige finanzkräftige Agenturen anbieten, die ihre eigenen Touristenführer aus dem Ausland mitbringen, nützt den Waldbewohnern gar nichts. Leider gibt es viele Firmen, die ihren Programmen einfach das Label ,Öko‘ aufstempeln.“

Tourismusprogramme, die ausländische Besucherinnen und Besucher in abgelegene Gemeinden und in nahezu unberührte Dschungelgebiete führen, bergen auch Gefahren in sich. Die Biologin Nidia Alvarez meint: „Natürlich gibt es ein Problem des kulturellen Einflusses. Mit der Zeit wollen die Kinder auch all die Sachen haben, die die Touristen ihnen zeigen. Außerdem wird das Ökosystem beeinflußt. Wenn du ein Vogel wärst, der seine Eier ausbrütet, und dabei stundenlang von einem Paar Ferngläser beobachtet wirst, dann würdest du dich auch gestreßt fühlen.“

In Uaxactún hat die Dorfbevölkerung in gemeinschaftlicher Arbeit und mit finanzieller Unterstützung einer internationalen Organisation ein Camp aufgebaut, in dem die Touristen eine komfortable Dschungelerfahrung machen können. Julio Carudo ist der Präsident des lokalen Komitees für Ökotourismus. Er erklärt, warum er hofft, daß in Zukunft viele Ausländer in dem Camp übernachten werden: „Wenn die Touristen zu uns kommen und in unserem Gemeinschaftssaal essen, dann hinterlassen sie Geld für die Gemeinde. Wenn sie einen unserer Waldführer engagieren, dann ist das eine Hilfe für seine Familie. Wenn sie Pferde mieten, um in den Dschungel zu reiten, dann bedeutet das für uns eine Einnahme, mit der wir unsere Kinder ernähren können.

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