: Schnüffeln für die nationale Wirtschaftskraft
In Zeiten des verschärften Wettbewerbs wird Wirtschaftsspionage immer wichtiger. Jeder gegen jeden lautet das Motto. Doch die Ausforschung deutscher Unternehmen durch befreundete Geheimdienste ist nach wie vor ein Tabu ■ Von Philipp Gessler
Die bösen Russen tun es, die guten Amerikaner auch – doch beim Thema Wirtschaftsspionage setzen deutsche Behörden noch immer zweierlei Maß an. Gern wird mit Informationen über die „Aktivitäten“ russischer Dienste in der deutschen Wirtschaft rausgerückt, im gleichen Atemzug aber meist verschwiegen, daß auch die Agenten „befreundeter Staaten“ in der Bundesrepublik spionieren – zum Schaden deutscher Unternehmen.
Nun ist Wirtschaftsspionage eigentlich ein alter Hut. Die Wirtschaft war stets neben der Politik, dem Militär sowie der Wissenschaft und Technologie ein klassisches Feld der Ausforschung durch fremde Dienste. Deutschland ist wegen seiner Lage mitten in Europa sowie seiner politischen und wirtschaftlichen Bedeutung „anhaltend ein bevorzugtes Aufklärungsgebiet der Nachrichtendienste fremder Staaten“, wie das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln in einem jüngst veröffentlichten Sicherheitspapier feststellt. Hinzu kommt, daß die Grenzen zwischen wirtschaftlicher und militärischer Spionage, etwa in der Militärtechnick, fließend sind.
Neu aber ist, so die Kölner Verfassungsschützer, daß die „Wirtschaft in den letzten Jahren verstärkt in das Aufklärungsinteresse fremder Staaten gerückt ist“. Wirtschaftsspionage würden „vor allem“ die Staaten der ehemaligen Sowjetunion, einzelne osteuropäische Länder sowie Staaten des nahen, mittleren und fernen Ostens betreiben, China etwa. So habe zum Beispiel der frühere Leiter der russischen Auslandsaufklärung und jetzige Außenminister Jewgeni Primakow nachrichtendienstliche Operationen zur Beschaffung wirtschaftlicher Informationen als vorrangigen Auftrag der russischen Dienste beschrieben. „Volle Unterstützung“ erfährt er dabei durch Helmut Kohls Duzfreund, dem russischen Präsidenten Boris Jelzin. Dem Verfassungsschutz- papier zufolge wurde im russischen zivilen Aufklärungsdienst SWR eigens eine spezielle Abteilung für wirtschaftliche Aufklärung eingerichtet.
Experten aber gehen davon aus, daß auch Dienste befreundeter Staaten in Deutschland spionieren. Offiziell wird dies zwar nicht bestätigt, aber „Verfassungsschutzkreise“ verweisen darauf, daß es auch für amerikanische Dienste ausdrücklich Aufträge zur Wirtschaftsspionage gibt. Fälle dieser Art durch „befreundete“ Dienste in Deutschland würden eben nicht publiziert, sondern schnell, eindringlich und still auf diplomatischer oder politischer Ebene bereinigt, heißt es von Insidern.
Schweigen über die westlichen Dienste
Warum Aktivitäten „befreundeter“ Staaten in Schriften der Verfassungsschützämter nicht auftauchten, sei „eine Frage der Politik, nicht der Fachbehörde“. Zudem werde vieles auch in einem „Zusammenarbeits- und Klärungsprozeß“ mit den Kollegen der „befreundeten“ Dienste bereinigt.
Manchmal klappt das aber nicht ganz. Durch die Presse ging im Frühjahr 1995 etwa der Fall von fünf US-Bürgern, die Frankreich verlassen mußten, da sie angeblich im Bereich der audiovisuellen Medien und der Telekommunikation spioniert hatten. Immer wieder werden amerikanische Presseberichte zitiert, wonach US-Präsident Bill Clinton die Wirtschaftsspionage als eine der zukünftigen Hauptaufgaben des CIA definiert habe. Die CIA warnt in einem neulich an die Medien gelangten Bericht, daß vor allem Frankreich und Israel in den USA aktiv waren.
Der Wirtschaftsexperte der SPD-Fraktion im Bundestag, Ernst Schwanhold, sowie der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Hermann Lutz, warnen seit geraumer Zeit vor der Aktivität befreundeter Dienste in Deutschland. Den Informationen der Sicherheits-Beratungsfirma KDM in Frankfurt/Main zufolge versucht der französische Nachrichtendienst DGSE in regelrechten Kampagnen deutsche Unternehmen zu infiltrieren – in der Hoffnung, Agenten und Maulwürfe einzuschleusen.
Nach Informationen des Bundesamtes für Verfassungsschutz bedienen sich ausländische Dienste bei der Wirtschaftsspionage grundsätzlich aller „erprobten nachrichendienstlichen Verfahren“, die auch weiterentwickelt würden. Die „Gesprächsabschöpfung“ gehört dazu, die Informationsbeschaffung durch technische Mittel, der Einsatz getarnter Mitarbeiter, die Anwerbung fremder Personen als Agenten sowie die Nutzung von Tarnfirmen.
Moderne Kommunikationstechnik mache es zum Teil noch leichter, an Informationen zu kommen – aber auch Menschen seien weiterhin als Informationsquellen wichtig. Auf entsprechende „Anbahnungsversuche“ etwa bei Messebesuchen in fremden Ländern „sollte daher sorgfältig geachtet werden“. Von „besonderem Interesse“ seien die Branchen der Rüstungstechnik, der Mikroelektronik und Computertechnik, aber auch scheinbar harmlose Industriezweige wie die Metallurgie, die Medizin, die Biotechnik und Chemie, die Energie-, Umwelt-, Luftfahrt- und Verkehrstechnik.
Die Ausforschungsbemühungen umfassen den ganzen Zyklus eines Wirtschaftsgutes: von der Forschung, über die Entwicklung bis zur Anwendung und Vermarktung. So können fremde Staaten billig überlegene Technik gewinnen, Anschluß an die Hochtechnologie behalten und eigene Forschungs- und Entwicklungsausgaben sparen. Wichtig ist den fremden Diensten aber auch, möglichst schnell Veränderungen in der wirtschaftlichen Entwicklung fremder Staaten zu erkennen, die heimische Wirtschaft zu stärken und auf Firmen, Verbände und internationale Organisationen zugunsten des eigenen Landes Einfluß zu gewinnen.
Sogenannte Krisenländer wie etwa der Iran und der Irak versuchen durch ihre Dienste in den Besitz „sensitiver Güter“ zu gelangen, das heißt von Waren, die zur Produktion von atomaren, biologischen oder chemischen Kriegswaffen nötig sind. „Dual-use-Güter“, die zivil wie militärisch genutzt werden können, sind dabei besonders problematisch: Wer kann schon sicher sagen, ob etwa das deutsche Thermometer nun in einem Kernkraftwerk landet oder in einer Atomwaffenschmiede?
Wie hoch der Schaden ist, den die deutsche Wirtschaft durch Wirtschaftsspionage erfährt, ist schwer zu beziffern. Der Verfassungsschutz kann nur auf Schätzungen verweisen, die zwischen mehreren 100 Millionen Mark und Milliardenbeträgen schwanken – pro Jahr wohlgemerkt. Dabei sind nicht nur Großunternehmen gefährdet, sondern verstärkt auch mittelständische, hochinnovative Firmen, die oft allzu wenig auf Sicherheit achten oder kein Geld dafür haben.
Die SPD will von der Bundesregierung Auskunft
Was also tun gegen Wirtschaftsspionage ausländischer Dienste? Die SPD hat im Parlament eine Große Anfrage auf den Weg gebracht, mit der sie von der Bundesregierung unter anderem wissen will, ob sie den Abschluß multi- oder bilateraler Akbommen erwägt, um den Einsatz von Geheimdiensten für die Industriespionage auszuschließen. Oder sollten die deutschen Dienste gar selbst im Ausland für die deutsche Wirtschaft spionieren? Schwanhold und Lutz lehnen dies ab: Der Bundesnachrichtendienst (BND) dürfe nur zur Abwehr fremder Geheimdienste genutzt werden. Ein in der Auslandsspionage für die deutsche Wirtschaft tätiger deutscher Geheimdienst würde die ganze deutsche Politik in Frage stellen, warnt Lutz.
Andere, wie etwa der Sicherheitsberater Klaus-Dieter Matschke (s. Interview), sind da nicht so zürückhaltend: Was den Amerikanern recht ist, sollte den Deutschen billig sein. Der Verfassungsschutz, dessen Aufgabe die Spionageabwehr gegen fremde Dienste ist, fordert gerade mittelständische Betriebe auf, sich stärker zu schützen und schneller Kontakt mit den deutschen Diensten aufzunehmen. Wirtschaftsspionage, so mahnt auch Lutz, müsse stärker als bisher als Gefahr erkannt werden, damit es nicht weiter ganz naiv heiße: „Bei uns tut keiner so was.“ Im Hinterkopf sollte dabei stets bleiben, wie der französische Exgeheimdienstler Pierre Marion nach KDM-Informationen die Industriespionage gegen Deutschland und andere Verbündete rechtfertigt: „Im wirtschaftlichen Wettbewerb sind wir alle Konkurrenten. Es kommt darauf an, die Nase vorn zu haben – egal mit welchen Mitteln.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen