: Eine Firma mit 390 Chefs
Die Beschäftigten der Softwarefirma PSI sind die Besitzer der Aktiengesellschaft und können ihre Vorgesetzten bei Mißfallen abwählen ■ Aus Berlin Burghard Flieger
Von Kopf bis Fuß auf Reden eingestellt, das ist ihre Welt“, so könnte der Berufsalltag der PSI-Mitarbeiter dargestellt werden – wenn da nicht noch die ganz normale Arbeit wäre: die Entwicklung der Software.
Die PSI AG ist ein Softwarehaus mit Hauptsitz in Berlin. Es produziert vor allem Programmlösungen für Logistik, Kommunikationstechnik und Energieleittechnik sowie Umweltschutz. So weit, so normal. Aber PSI ist mehr: ein Pionierunternehmen in Sachen Mitarbeiterbeteiligung. Etwas mehr als 60 Prozent der Beschäftigten sind Eigentümer des Unternehmens. Nur sie können überhaupt Aktien der PSI erwerben.
„Reden können in der Gruppe“ müssen nicht nur die 390 Mitarbeiter, die gleichzeitig auch über Aktien des Unternehmens verfügen. In ihrer Fähigkeit zu kommunizieren gefordert, manchmal auch überfordert, werden alle 600 Beschäftigten. Erst ständiger Austausch über die Arbeit, die Unternehmenspolitik oder die Entwicklung neuer Geschäftsfelder läßt ein Unternehmen mit so wenig Hierarchie funktionieren.
Angefangen hat alles 1969, als sechs Mitarbeiter aus dem AEG- Elektrokonzern sich gemeinsam selbständig machten. Sie wollten dem anonymen Dasein in einem Großkonzern eigene Strukturen entgegensetzen. Damals entwickelten sie ein Unternehmensmodell, das in seinen Grundzügen bis heute gilt. Sogar bei der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft Anfang 1994 blieben die genossenschaftlichen Strukturen erhalten. Sie sind über ein aufwendiges Vertragswerk, das sogenannte Selbstbestimmungsmodell, abgesichert.
Damit einzelne nicht durch ihre Kapitalmehrheit die anderen überstimmen können, bleibt die Anteilshöhe eines Mitarbeiters auf 1,1 Prozent des Kapitals begrenzt. Bei 10,6 Millionen Stammkapital kommen bei einigen dennoch stolze Beträge von 120.000 Mark Nennkapital zusammen. Tatsächlich ist jede Aktie im Nennwert von 2.500 Mark sogar das Doppelte wert. Rücklagen, Hausbau und Investitionen in technische Entwicklungen führten zu dieser Firmenwertsteigerung.
Warum aber bringen Mitarbeiter freiwillig soviel Geld auf, „nur“ um Gesellschafter ihres Unternehmens zu werden? Auf den ersten Blick könnte es die Rendite sein. Immerhin wurden jahrelang Verzinsungen von teilweise über 30 Prozent erzielt. Die Erfahrung zeigt aber, daß in Krisenzeiten manchmal sogar mehr Anteile gezeichnet werden.
Auch gegenwärtig kann es nicht der Gewinn sein, der die Mitarbeiter motiviert, Gesellschafter zu werden. Seit 1992 werden die Anteile kaum noch verzinst. Die Krise der Softwarebranche der letzten Jahre brachte das ungebremste Wachstum des Unternehmens zum Erliegen. Die zeitweise hohen Renditen blieben aus. Trotzdem wurde das Kapital Anfang des Jahres von den Mitarbeitern um 600.000 auf 10,6 Millionen Mark erhöht. Die Frage nach dem Warum läßt sich entsprechend beantworten: Sie sichern so ihren eigenen Arbeitsplatz.
Entscheidend für viele, ihr Geld in die Firma einzubringen, ist außerdem der Einfluß auf die Unternehmenspolitik. Als Mitarbeiteraktionäre bestimmen sie über die Erhöhung des Stammkapitals, über Satzungsänderungen, die Gewinnverwendung und nehmen den Geschäftsbericht des Vorstands entgegen. Außerdem wählen sie das wichtigste Gremium, das den Vorstand ernennt und kontrolliert: den Aufsichtsrat.
Der Aufsichtsrat wird zur Hälfte von den Mitarbeiteraktionären und zur Hälfte von allen Beschäftigten gewählt. Bei üblichen Aktiengesellschaften bestimmen ihn ausschließlich die Aktionäre. Neuen Geschäftszweigen, dem Jahresplan, Veränderungen der betrieblichen Organisation und vielen weiteren wichtigen Entscheidungen muß dieses Gremium seine Zustimmung erteilen. Wer also fundiert Einfluß nehmen will, muß Mitglieder aus dem Aufsichtsrat von seinen Vorstellungen überzeugen. Offizieller Ort dafür sind Betriebs- und Gesellschafterversammlungen. Selbst wenn üblicherweise nur etwa die Hälfte der Mitarbeiter an diesen teilnimmt, kommen hier mehr als 300 Beschäftigte zusammen.
„Vor so vielen Menschen seine Meinung darzulegen“, so ein langjähriger PSI-Mitarbeiter, „erfordert ein gewisses Standing.“ Rhetorisches Geschick, sicheres Auftreten und hohe Akzeptanz aufgrund fachlicher Erfolge bei der Projektabwicklung sind entscheidend, um sich bei diesen Abstimmungen durchzusetzen.
Durch die erreichte Größe von PSI kennen sich viele MitarbeiterInnen mittlerweile nicht mehr persönlich. Dies erschwert die erforderliche „Nähe“, um miteinander zu reden. „Nähe ist notwendig“, so der gleiche PSI- Mitarbeiter, „um sich entweder gern zu mögen oder trefflich zu streiten.“ Entsprechend kommt im Unternehmen der Untergliederung und Besprechung in kleineren Einheiten wie Geschäftsbereiche und Projekte wachsende Bedeutung zu. Fast alle wichtigen Entscheidungen werden dort in moderierten Gesprächen vorstrukturiert.
Die Geschäftsbereichsleiter führen ihre Abteilungen fast wie eigenständige Unternehmen. Sie sind beim Ausarbeiten der Jahrespläne oder Einstellungen neuer Mitarbeiter weitgehend autonom. Geführt werden sie, so ein Vorstandsmitglied von PSI, „wie kleine Fürstentümer“.
Auf „ihre Fürsten“ aber können die Mitarbeiter Einfluß nehmen: Alle zwei Jahre werden die Geschäftsbereichsleiter, wie alle Vorgesetzten im Unternehmen, einem Bestätigungsverfahren unterworfen. Erhält jemand mehr Nein- als Ja-Stimmen, verliert er seine Leitungsfunktion.
In solchen Konfliktfällen kann sich die Gruppe mehrheitlich auf einen eigenen Vorgesetzten einigen. Gelingt dies nicht, ordnet der Aufsichtsrat ihr einen Manager zu. Auf diesen Lösungsweg mußte bisher jedoch erst in wenigen Ausnahmen zurückgegriffen werden. In solchen Fällen wurde, so die Wertung eines der vier Mitglieder des Vorstands, der Sinn der Mitarbeiterbeteiligung nicht genutzt: „das miteinander Reden“.
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