: Das Leben "da unten"
■ Heute wird in Hamburg das Museum der Arbeit eröffnet. Das Hauptaugenmerk der AusstellungsmacherInnen gilt nicht der Maschine, sondern dem Lärm und dem Schmutz, denen die Menschen ausgesetzt waren. Aus Hamburg Sven-Mic
Das Leben „da unten“
Dieses Museum wird in Bewegung sein“, sagt Gernot Krankenhagen. Und er fügt hinzu: „Es wird es sein müssen.“ So richtig „fertig“ werde es wohl nie werden, nie werden können. Denn Vergangenheit, Gegenwart und nicht zuletzt Zukunft gesellschaftlicher Entwicklungen seien die Themen – Themen des permanenten Wandels, die mit statischen Betrachtungsweisen nicht zu begreifen oder zu vermitteln sind.
Professor Krankenhagen ist Direktor des Museums der Arbeit in Hamburg. Mitten im traditionellen Arbeiterstadtteil Barmbek residiert seit heute im gründerzeitlichen Fabrik-Ensemble der ehemaligen „New-York Hamburger Gummi-Waaren Compagnie“ das siebente, das ambitionierteste und das jüngste staatliche Museum der Hansestadt. Der Alltag der Bevölkerung während der vergangenen 200 Jahre, die Arbeits- und Wohnverhältnisse der Lohnabhängigen und ihrer Familien, kurz: das Leben und Leiden früherer Generationen soll hier für den heutigen Betrachter erfahrbar, sinnlich nachvollziehbar gemacht werden.
Im Mittelpunkt immer der Mensch. Nicht der Leistungsfähigkeit einer Maschine gilt das Augenmerk, sondern dem Lärm und Schmutz, die sie verursachte, den Gesundheitsbedrohungen, die von ihr ausgingen, den Arbeitsprozessen, die sie erzwang. Die sozialen – und nicht zuletzt die unsozialen – Folgen der technischen, arbeitsteiligen Gesellschaft aus dem Blickwinkel derer „da unten“ zu analysieren und zu schildern ist die selbstgestellte Hauptaufgabe des Museums. Und zum ersten Mal in Deutschland wird in einem sozialhistorischen Museum die Rolle der Frau in der Arbeit als integraler Ausstellungsbestandteil begriffen und aus dezidiert feministischer Perspektive untersucht.
Integraler Bestandteil: die Rolle der Frau in der Arbeit
„Armut ist weiblich“ – ein aktuelles Schlagwort, so alt wie die Arbeit selbst. Die Geschichte der Geschlechterbeziehungen haben die 25 MuseumsmacherInnen deshalb zu einer grundlegenden Kategorie für Sammlung und Vermittlung erklärt. „Es waren fast ausschließlich Männer, die Frauen gesagt haben, was und wie sie zu arbeiten haben“, konstatiert die für diesen Ausstellungsteil verantwortliche Wissenschaftlerin Elisabeth von Dücker (siehe Interview).
Am Beispiel der für Hamburg typischen Fischindustrie soll die Arbeitswirklichkeit von Frauen veranschaulicht werden. Dort wurde zwischen Frauen- und Männerarbeit streng getrennt: Das Entgräten, Ausweiden, Filetieren, Sortieren und Verpacken der Fische galt als reine Frauenarbeit. Sie war monoton, überaus anstrengend und natürlich schlecht bezahlt.
Auch dem „Arbeitsplatz Kind“ wird in diesem Museum Aufmerksamkeit geschenkt, denn auch die Hausarbeit gilt hier als konzeptionell unverzichtbares Element. „Die Erweiterung des Begriffs ,Arbeit‘ ist unumgänglich“, sagt Elisabeth von Dücker. Die industrialisierte Gesellschaft basiere eben nicht nur auf Lohnarbeit, sondern auch auf „großen Anteilen an nicht bezahlter Arbeit“. Und dazu gehörten „eben auch Haushalt, Familie und Kinder“.
In einer komplett restaurierten ehemaligen Metallwarenfabrik, die von 1901 bis 1989 mit unveränderter Technologie in einem Hamburger Hinterhof gearbeitet hat, wird Arbeitsalltag exemplarisch vermittelt. Im Mittelpunkt steht die „Dicke Berta“, eine Friktionsspindelpresse zum Stanzen von Metall. Das Monstrum, vier Meter hoch und acht Tonnen schwer, erfüllte 88 Jahre lang den Hauptarbeitsraum mit ohrenbetäubendem Stampfen und Rattern. Direkt neben ihr entwarfen Graveure an Tischen die winzigen Nadeln, am nächsten Tisch stanzten Hilfsarbeiterinnen die Blechteile, am dritten wurden die Produkte lackiert: die Wappen der Hamburger Reedereien der Jahrhundertwende, Kriegsabzeichen für das Kaiserreich und Eiserne Kreuze für die Hitler-Wehrmacht, aus den fünfziger Jahren dann Anstecknadeln der Hamburger Sportvereine – der Ausstoß der „Dicken Berta“ illustriert acht Jahrzehnte Hamburger Geschichte.
Darüber hinaus gibt es zunächst vier weitere Dauerausstellungen zu sehen, mit denen das Museum der Arbeit versucht, seinen hochgesteckten Ansprüchen gerecht zu werden. Und fast alle stehen, soweit das Amt für Arbeitsschutz und die Versicherungen das zulassen, unter dem Motto „Bitte berühren“. Vor allem gilt dies für die Satz- und Druckwerkstatt, die einen Querschnitt durch rund 150 Jahre grafisches Gewerbe bietet. An Steindruckpressen, in der Bleisetzerei oder an einer Linotype- Setzmaschine können die BesucherInnen jederzeit oder auch in speziellen Workshops selbst herstellen, was ihnen beliebt. Das Know-how vermitteln erfahrene Fachleute, die vor wenigen Jahren selbst eine der Kehrseiten der Arbeitswirklichkeit erfahren mußten: Sie wurden als Opfer der technologischen Revolution in diesem Gewerbe vom Computer ersetzt.
Vermeintlich Bekanntes völlig neu untersuchen
Der Experimentiercharakter und die Aufforderung an die BesucherInnen zum Mit- und Selbermachen sind es noch nicht, was das Museum der Arbeit aus der bundesdeutschen Landschaft von sozialhistorischen und Technik-Museen heraushebt; das Centrum Industriekultur in Nürnberg oder das Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim verfolgen hier ähnliche Ansätze. Der bedeutsame kulturpolitische Stellenwert des Hamburger Museums der Arbeit liegt darin, vermeintlich Bekanntes völlig neu zu untersuchen und zu vermitteln und daraus neue Perspektiven zu eröffnen. Es ist der Versuch, unseren Begriff von Arbeit zu erweitern durch die Einbeziehung von nicht bezahlter und vor allem von Frauenarbeit. Es ist der unverstellte und deshalb parteiische Blick auf die Gesamtwirklichkeit dessen, was Arbeit war und ist, was sie erfordert(e) und was sie befördert(e): das Verhältnis zwischen dem Fortschritt der Produktivität und dem Preis des gesellschaftlichen Wohlstandes.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen