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Museum aussterbender Klänge

■ Im brandenden Lärm der kapitalistischen Stadt: Ein Porträt der Kneipe für experimentelle Musik Hörbar in der B5

Obskures, frequenzmoduliertes Rauschen dringt hinter der geschwungenen Theke hervor. Schwarzgekleidete Menschen lümmeln herum und trinken Industrial-Drinks – Kaffee, dick und zäh wie Maschinenöl? Nein, Matebrause. Jeder von ihnen könnte der Produzent des sympathischen Klangbreis sein, der schnell klar macht, daß man sich hier nicht in einer Grufti-Kneipe befindet.

Tatsächlich ist die Hörbar in der B5 (Brigittenstr. 5) ein „Treffpunkt für KonsumentInnen und ProduzentInnen experimenteller Musik“. Von Y-Ton-G beispielsweise, einem der Mitbegründer der Hörbar und des dazugehörigen „Vereins zur Förderung experimenteller Musik“. Für ihn ist die Arbeit mit Material, das nicht jeder Dackelbesitzer sofort als Musik erkennen würde – wir reden hier von Klängen in der Tradition von Cage wie schreiende Schienen oder tropfende Wasserhähne bis hin zu undurchsichtigen Klängen aus den Windungen synthetischer Klangerzeugung – mehr als nur eine Sorte Musik unter vielen: Industrial, wie er und andere humorvolle Menschen es verstehen, ist eine besondere Art von Programm.

Es gilt, sich den brandenden Lärm der kapitalistischen Stadt anzueignen und gegen die Übermacht der gewohnheitsmusikalischen Verhältnisse eigene Akzente zu setzen: „Ich entscheide, ob Hubschraubergeschrappe und Sirenengeheul Musik ist oder nicht“, sagt Y-Ton-G kategorisch und stellt mit dieser fast schon Duchamps'schen Volte klar, daß Musik wie Kunst mit dem unwandelbaren Schönen, Wahren, Guten aber auch gar nichts zu tun habe. Musik muß vielmehr, wie andere Lebensäußerungen auch, in jeder spezifischen historischen Situation neu verhandelt und definiert werden.

Auf das möglicherweise Ana-chronistische von Industrial in seinem Bezug auf Industriegeräusche angesprochen – im Übergang von der Produktions- zur Informationsgesellschaft wirkt Dampfhammergerassel leicht ein bißchen unzeitgemäß – erzählt Y-Ton-G von der Idee eines „Museums der Klänge der Arbeit“. Solch ein akustisches Archiv, wie es auch Asmus Tietchens, die graue Eminenz des Hamburger Geräuschkosmos und Lehrbeauftragter an der Fachschule für Gestaltung, mit seinen Studenten erarbeitet, will „die letzten industriell-mechanischen Schallereignisse sammeln, bevor nur noch das digitale Surren in der Welt ist“, so C V Liquidsky, einer der Mitorganisatoren der Hörbar.

Ist also die Vergangenheit die Zukunft von Industrial? Vielleicht nicht. Das Hörbar-Umfeld geht verschiedene Wege, um dieser Falle zu entgehen. Sei es der Eigenbau von Maschinen, das Eigenleben von Effektgeräten oder auch die internen Geräusche des benutzten Computers. Dabei herrscht eine gewisse Scheu vor dem reinen Geräusch-Zitat, der Authentizität, weil man dahinter das „Abgleiten ins Techno-Umfeld“ befürchtet. Und dahin will hier niemand. man/tlb

Hörbar: Jeden Mittwoch ab 19 Uhr in St. Pauli, Brigittenstraße 5 (Hinterhof) Unüberhörbar (Liveclub): Jeden letzten Freitag im Monat, 20 Uhr, ebenda

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