piwik no script img

Flucht ist Verrat

Hamburger Schriftstellerverband fordert ein Bleiberecht für bosnische Exil-AutorInnen  ■ Von Judith Weber

„Verräter“, begrüßt ein Vorort von Sarajevo seine Besucher. Jemand hat das Wort quer über ein Ortsschild gekritzelt und so seiner Wut über Emigranten Luft gemacht, die vor dem Krieg in Bosnien geflüchtet sind und jetzt heimkehren. Der Haß trifft besonders die, die von Berufs wegen auf die Öffentlichkeit angewiesen sind: Künstler, Journalisten und Autoren. In Hamburg leben acht bosnische SchriftstellerInnen, die im Mai abgeschoben werden sollen. Dagegen wehrt sich nun der Verband Deutscher Schriftsteller (VS) in Hamburg mit einem offenen Brief an Bundesregierung und Bundestag.

Die Literaten fordern, daß bosnische Schriftsteller mindestens für die nächsten drei bis vier Jahre in der Bundesrepublik bleiben dürfen. „Exil-Autoren sind in Bosnien als Verräter abgestempelt und in Gefahr“, sagt die Hamburger Dichterin Emina Kamber. Sie hat den Brief mitverfaßt, kommt selbst aus Sarajevo, lebt aber schon seit 29 Jahren in Hamburg. Undenkbar für Kriegsflüchtlinge, in Bosnien ein Buch zu veröffentlichen oder zu einer Lesung eingeladen zu werden. Denn als Heimkehrer werden sie nicht wieder in den bosnischen Schriftstellerverband aufgenommen, und „ohne diese Mitgliedschaft gilt man nicht als Autor“, weiß Emina Kamber. Hinzu kommt, daß viele AutorInnen aus politischen Gründen geflohen sind und nicht wissen, was sie in Bosnien erwartet.

Kambers Kollege Midhat Hrncic vermutet gar: „Von Deutschland aus können wir mehr für unser Land tun, als wenn wir jetzt zurücckehren.“ Hrncic ist Kriegsflüchtling. Er mußte bei der Hamburger Ausländerbehörde bereits seinen Paß abgeben und soll im Mai nach Bosnien zurück.

Emina Kamber darf bleiben. Inzwischen hat sie einen deutschen Paß. An ihrem Engagement ändert das nichts – immer noch sagt sie „wir“, wenn sie von den bosnischen Autoren spricht, und ihr neues Buch handelt vom Krieg in Sarajevo (Hamburger Kriegstagebuch, Verlag Bosnisches-Europäisches Wort, Wuppertal). Für ihre Arbeit hat die Autorin im November die „Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland“ bekommen. Die Auszeichnung hängt jetzt in der Wohnung, in der Kamber zur Untermiete lebt – ihr Haus in Hamburg hat sie verkauft, um mit dem Geld Kriegsflüchtlinge zu unterstützen.

„Etwa 70 bosnische Schreiber leben in Deutschland“, vermutet Reimer Eilers vom Hamburger VS. Er hat gemeinsam mit Kamber erreicht, daß der Deutsche Schriftstellerverband die Exil-AutorInnen aufnimmt. Eilers hat auch den offenen Brief unterschrieben. Er findet: Die Abschiebung widerspreche dem deutschen Interesse, die Ordnung in Bosnien wiederherzustellen. Schließlich könnten gerade SchriftstellerInnen und andere Intellektuelle zum Frieden beitragen – es sei denn, man schicke sie zurück und mache sie damit mundtot.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen