piwik no script img

„Ich lege nicht jeden Tag ein Bekenntnis ab“

Wolfgang Thierse, stellvertretender SPD-Vorsitzender, verteidigt sein Thesenpapier zum Umgang mit der PDS: Er empfiehlt weder in Bonn noch in den Ländern Koalitionen mit ihr, plädiert aber für eine differenzierte Auseinandersetzung  ■ Ein Interview von Jens König

taz: Die SPD streitet sich wieder einmal über ihren Umgang mit der PDS. Was glauben Sie, wie es Peter Hintze, dem CDU-Generalsekretär, geht?

Thierse: Der freut sich. Es ist leider genau das eingetreten, was ich vermeiden wollte: Daß wir uns über die PDS zerstreiten, anstatt uns politisch mit ihr zu streiten.

Ihre Partei steckt in der PDS- Frage aber auch in einer bedauernswerten Situation. Wo immer Sie hinkommen, ist Hintze mit seinen roten Socken schon da.

Aus diesem Dilemma gibt es für die SPD keinen wirklichen Ausweg. Sie kann heiligste Eide schwören, 1998 in Bonn nicht auf die PDS zu setzen – die CDU wird ihre Volksfrontkampagne führen. Sie würde es selbst dann noch tun, wenn alle 800.000 Sozialdemokraten aus Deutschland auswanderten.

Sie haben in Ihrem PDS-Papier davon gesprochen, daß das strategische Ziel der SPD nur eine größtmögliche Schadensbegrenzung sein könne. Das kann doch keinen Spaß machen. Beißen Sie manchmal in die Tischkante?

Ja. Die PDS ist in der Systematik unseres Parteiensystems ein Störfaktor ausschließlich zu Lasten der SPD. Das ist ja auch der Grund, warum die CDU die PDS stärkt und sie mit ihrer Rote-Socken-Kampagne zum ständigen Gegenstand der öffentlichen Aufmerksamkeit macht. Das ist hochemotional und entpolitisiert die Debatte auf so wunderbare Weise. Die Koalition braucht nicht mehr über Konzepte zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und nicht über soziale Gerechtigkeit in Deutschland zu reden – nur noch über „Freiheit oder Sozialismus“. Wir dürfen uns auf diese Logik nicht einlassen. Ich will nicht jeden Tag ein Bekenntnis ablegen müssen, das hatte ich in der DDR.

Sie wollen den Schaden begrenzen. Danach sieht's in der SPD im Moment nicht aus. Ihr Thesenpapier zum Umgang mit der PDS wird Ihnen von einigen aus Ihrer Partei um die Ohren gehauen.

Weil sie den Sinn meiner nicht für eine Veröffentlichung verfaßten Notizen schlichtweg mißverstanden oder böswillig beziehungsweise einseitig interpretiert haben. Wenn man einigermaßen unvoreingenommen das Papier liest, wird man aus ihm keine Aufforderung zur Koalition mit der PDS herauslesen können. Ich habe dazu aufgefordert, gelassener, selbstbewußter mit der PDS umzugehen und mit ihr die politische Auseinandersetzung zu suchen.

Drei der Gründungsmitglieder der Ost-SPD, Markus Meckel, Stephan Hilsberg und Martin Gutzeit, befürchten, daß der SPD bei der ersten Koalition auf Länderebene, die sie mit der PDS eingeht, ihr ganzer Laden um die Ohren fliegt – und zwar im Westen und im Osten. Befürchten Sie das auch?

Das Verhältnis zur PDS ist innerhalb der SPD in hohem Maße emotional und existentiell besetzt – verständlicherweise nach der Geschichte der KPD und der SED- Vorgeschichte der PDS. Unterschiedliche Bewertungen haben aber auch mit einer unterschiedlichen Wahrnehmung der PDS zu tun. Der eine, der einen guten PDS-Bürgermeister kennt, hat vielleicht ein freundlicheres Bild von der Partei als einer, der ständig auf alte Stalinisten trifft. Wir müssen in der SPD die unterschiedlichen Auffassungen zulassen. Für ein erfolgreiches Verhalten gegenüber einer anderen Partei ist das doch auch spannend.

Meckel, Hilsberg und Gutzeit benennen aber eine Konsequenz möglicher Koalitionen und ziehen daraus die Schlußfolgerung: Finger weg von der PDS, keine Koalitionen mit ihr.

Noch einmal: Ich habe keinen Vorschlag gemacht, Koalitionen mit der PDS einzugehen. Es hat etwas Irres an sich, mir das immer wieder zu unterstellen.

Aber Sie haben Koalitionen nicht explizit ausgeschlossen, wie es die SPD bislang gemacht hat.

Ich habe auf die verschiedenen Konstellationen in den einzelnen ostdeutschen Ländern verwiesen, auf die Besonderheiten der PDS- Landesparteien, auf die politischen Kräfteverhältnisse in den einzelnen Landtagen, auf den jeweiligen Zustand der CDU, auch der SPD selbst. Daraus ergeben sich unterschiedliche Schlußfolgerungen. Das kann ich als stellvertretender SPD-Vorsitzender doch gar nicht verhindern oder verbieten.

Mit diesen unterschiedlichen politischen Konstellationen müssen wir offensiv umgehen. Diese Art, die PDS als politischen Gegner zu bekämpfen, halte ich für erfolgversprechender, als sie durch Diffamierung und Ausgrenzung zu stabilisieren. Ich plädiere für eine inhaltliche, politische Auseinandersetzung und bin gegen unsinnige Koalitionsdebatten. Die deutsche Öffentlichkeit ist inzwischen aber so CDU-beherrscht, daß Journalisten gar nicht mehr anders fragen können als: Koalition mit der PDS – ja oder nein?

Sie wollen Ihre Entscheidung darüber von Wahlergebnissen abhängig machen. Vielleicht deshalb immer die prinzipielle Nachfrage.

Entschuldigen Sie, aber Koalitionen werden immer nach Wahlen geschlossen. Das ist eine solche Trivialität, daß man sie eigentlich gar nicht erwähnen muß. Da muß nüchtern entschieden werden: Mit wem zusammen bekomme ich eine Mehrheit? Mit wem zusammen kann ich gemeinsame Ziele verwirklichen?

In Berlin und Mecklenburg- Vorpommern bekommen Sie mit der PDS und den Grünen ganz sicher eine Mehrheit. Können Sie da mit der PDS auch gemeinsame Ziele verwirklichen?

Da, wo ich die PDS gut kenne, in Berlin, ist sie nicht so geartet, daß ich mir das vorstellen kann.

Und in Mecklenburg-Vorpommern?

Ich äußere mich nur zu dem, was ich gut kenne. Die Verhältnisse in Mecklenburg-Vorpommern gehören nicht unbedingt dazu. Prinzipiell bleibe ich dabei: Wir müssen daran arbeiten, daß in Bonn, in Berlin und in den ostdeutschen Ländern ein Regierungswechsel nicht abhängig wird von der PDS.

Also ändert sich an der Grundhaltung der SPD zur PDS nichts?

Nein. Die PDS ist eine gegnerische Partei.

Auch mit gegnerischen Parteien kann man eine Koalition eingehen. Alles schon dagewesen.

Die SPD bleibt bei ihrer Grundüberzeugung, daß es 1998 in Bonn einen Regierungswechsel mit der PDS, ob durch Koalition, Tolerierung oder wie auch immer, unter keinen Umständen geben wird. Das wäre ein politisches Abenteuer. Mit einer reinen ostdeutschen und darin populistischen Regionalpartei, die so ein ungeklärtes Verhältnis zur Demokratie hat, kann man unter den schwierigen Verhältnissen in Gesamtdeutschland nicht erfolgreich regieren.

Stellen Sie Bedingungen an die PDS, die sie erfüllen muß, um in den Ländern koalitionsfähig zu werden?

Nein, weil ich nicht will, daß sich die PDS stabilisiert und koalitionsfähig wird.

Aber ohne PDS keine Mehrheit links von der Mitte, von der Lafontaine gesprochen hat.

Ich bezweifle, ob das stimmt. Ich weiß nur: Wer 1998 PDS wählt, trägt nicht zum Regierungswechsel in Bonn bei. Das muß man den Wählern klar sagen.

Das hört sich an, als störe der Osten bei den Planspielen in Bonn. Meinen Sie nicht, daß Sie damit der PDS erst recht Wähler in die Arme treiben?

Wollen Sie mir übelnehmen, daß ich für die Wahl meiner eigenen Partei werbe und davor warne, eine andere Partei zu wählen? Das ist doch ein normales Verhalten in einer Demokratie. Wenn ein Teil der Ostdeutschen mir das übelnimmt, nimmt er demokratische Gepflogenheiten übel. Ich sage doch nur, daß die PDS-Wähler, wenn sie denn den Wechsel in Bonn wollen, ihn eigentlich verhindern.

Sie arbeiten sich jetzt seit über sechs Jahren an der PDS ab. Haben Sie nicht manchmal das Gefühl, die SPD hat an dem jetzigen Dilemma Mitschuld? Sie hat zu lange gehofft, die PDS erledige sich von selbst, und als sie gemerkt hat, daß das nicht so ist, hat sie sich nur abgegrenzt.

Manche haben vielleicht gehofft, daß sich die PDS von selbst erledigt. Ich habe nie dazugehört. Wenn man wie ich in Prenzlauer Berg in Berlin lebt, kann man davor nicht die Augen verschließen. Was ich hier sage, habe ich schon immer gesagt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen