piwik no script img

Angst und Schrecken mit JFK

24 Stunden Amphetamin: James Ellroys Roman über die Kennedy-Brüder demontiert den amerikanischen Traum  ■ Von Niels Werber

Könnten Sie sich vorstellen, daß der schwerreiche Vater eines deutschen Abgeordneten Verbindungen zur Mafia unterhält und seinem Sohn so viele Wahlkreise kauft, daß dieser Bundeskanzler wird? Glauben Sie, es wäre möglich, daß eine deutsche Gewerkschaft aus den Streikkassen Kredite zu Wucherzinsen an das organisierte Verbrechen vergibt? Daß die Mafia ein gewisses Wohlwollen von einer Regierung erwartet, der sie zur Macht verholfen hat, und den Tod des Kanzlers beschließt, als der Kampf gegen die Mafia zu- statt abnimmt? Daß ein deutscher Geheimdienst diesen Tod billigt, da er mit Hilfe der Unterwelt aus Drogen Geld macht, mit dem der Dienst eine separate Außenpolitik verfolgt? Halten Sie es für denkbar, daß der Vorsitzende einer Arbeitnehmervertretung eigenhändig die Hauptbelastungszeugen liquidiert, mit denen ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß die Verbindungen zwischen jener Gewerkschaft und der Mafia beweisen will? Daß ein deutscher Schriftsteller daraus einen Roman macht? Kaum zu glauben in einem Land, in dem der Tod des Mädchens Rosemarie schon eine Verschwörung von Klasse sein soll.

In den USA dagegen ist es anders. James Ellroys Roman handelt vom Aufstieg und Fall der Kennedy-Brüder, von den Teamstern, der mächtigsten Einzelgewerkschaft der Welt, von der Kooperation der Mafia mit der CIA und dem FBI und von der Korruption auf allen Ebenen des Staates. John F. Kennedy hat den Ruf eines Heiligen zu verlieren. Er ist der demokratische Visionär, der Kämpfer für die Bürgerrechte, der Präsident eines anderen Amerika. Er verkörpert sichtbar für alle Benachteiligten Hoffnung und Optimismus. Die Fotografien des Präsidenten sind auratisch, als sei er nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus reiner Energie. „Ein Bild von John F. Kennedy. Jack sah jung und unbesiegbar aus.“ Man erfährt von Ellroy, warum: „Jacks Lächeln war auch nicht ohne Nachhilfe zustande gekommen – Dr. Feelgood hatte ihm kurz vor dem Fototermin eine Spritze verabreicht.“ Mr. President high on dope.

Ein Trip mit der Wucht einer Rakete

8. 11. 1960, Nixon hat die Wahl verloren. Ein Blick auf die Inaugurationsfeierlichkeiten im Weißen Haus. Der Präsidentenberater Boyd erhält als ersten Befehl des jungen Präsidenten den Auftrag, „Mädchen für spätabendliche Quickies bereitzuhalten“. Als das Team der Sieger morgens um drei müde wird, schlägt John F. „Jack“ Kennedy eine „kleine Stärkung“ vor: „Der Präsident rollte einen Ärmel hoch. Der Doktor gab ihm eine Injektion. John F. Kennedy sah aus, als hätte er einen Orgasmus.“ Der Trip kommt mit der Wucht einen „Raketenantriebs“ und währt vierundzwanzig Stunden. Der Amphetamin-Schuß wird zu einer Metapher eines intensiven, unaufhaltsamen, aber zeitlich begrenzten Aufstiegs. Hinter dem Heiligenbild steckt eine Krankengeschichte mit tödlichem Ausgang.

In seinem Vorwort fordert Ellroy, es sei an der Zeit, die Kennedy-Ära „von ihrem Mythos zu befreien“, der ein „Produkt der Massenmedien“ sei, um eine Chronik jener „schlechten Menschen“ zu schreiben, die „unbemerkt das Antlitz ihrer Zeit prägten“. Ellroy demontiert den American Dream, um aus den Fetzen einen Alptraum zu kollagieren. Der Anteil der bad guys an der Epoche wird herausgestellt. Wäre ihr Leben „nur eine Sekunde anders verlaufen, sähe die amerikanische Geschichte für uns anders aus“. Einige Protagonisten sind den Ellroy-Lesern gut bekannt. Pete Bondurant, Howard Hughes brutales Mädchen für alles, oder Fred Turentine, der König der Abhörwanzen, gehörten schon zum Personal von „White Jazz“ (1992). „American Tabloid“, so der passendere Titel des Originals, beginnt wie ein Krimi aus der grandiosen Reihe von Romanen über L.A., die Stadt der Engel. Alles beginnt 1958: Der Milliardär Howard Hughes setzt sich einen weiteren Schuß, Pete Bondurant leitet mit einer Kamera und einer erfahrenen Freundin die schuldige Scheidung eines Geschäftsmannes in die Wege, Jimmy Hoffa, der Vorsitzende der International Brotherhood of Teamsters, der Gewerkschaft der Transportarbeiter, empört sich über einen Untersuchungsausschuß, der wissen will, ob drei Millionen Dollar schwarze Kredite für ein Ferienzentrum in Miami nicht aus der Pensionskasse der Gewerkschaft stammen: „Der wieselige Schwanzlutscher Bobby Kennedy hat dem halben Land eingetrichtert, die Teamster seien schlimmer als die gottverdammten Kommunistenschweine, und saut mich und meine Leute wie ein verrückter mit Vorladungen voll...“

J. Edgar Hoover, seit 1934 allmächtiger Chef des FBI, hat über alle Präsidenten so viel Belastungsmaterial gesammelt, daß er seine Ablösung für unmöglich hält. Hoover mag die Einstellung des Senators Robert Kennedy nicht, daß irgend etwas schlimmer sein könnte als der Kommunismus, zumal vor der Haustür die Gebrüder Castro dabei sind, den guten Freund der United States und der United Fruit Company, Präsident Batista, zu stürzen, um amerikanischen Besitz zu verstaatlichen. Die Castro- und die Kennedy-Brüder, Kommunisten und Katholiken sind der Feind.

Der Hoover-Liebling, Rechtsanwalt und Waise aus bestem Hause, Special Agent Kemper C. Boyd, wird ins Dream-Team der Kennedys eingeschleust, um im Auftrag Hoovers dafür zu sorgen, daß ein Kennedy als Präsident genauso antikommunistisch sein wird wie Nixon und die Paten der Cosa nostra. Auch die CIA versichert sich der Dienste Kempers und seines Einflusses auf Jack und Bobby. Das Zauberwort heißt „Interessenseparation“, doch wer drei Gehälter kassiert, kommt irgendwann in Loyalitätskonflikt. Ward Littell, dritter bad guy neben Boyd und Bondurant, ist ein FBI-Agent, der trotz Hoovers Hausideologie Kennedys Kampf gegen das organisierte Verbrechen bewundert.

Littell mißbraucht seinen Job dazu, die Zusammenarbeit der Teamster mit der Mafia zu belegen. Als Bobby Justizminister wird und Littell ihm sich und sein Arkanwissen anbietet, schlägt Hoover zu und verpaßt ihm das Image eines alkoholsüchtigen Spinners mit Neigung zu unamerikanischen Umtrieben. Bob Kennedy muß das Angebot, das seinen zähen Kampf gegen die Mafia entscheiden könnte, verschmähen. Der brüskierte Littell wird sich vom Paulus zum Saulus verwandeln.

Mobster, Teamster und die Castro-Brothers

In der Interessengemengelage zwischen den Mobstern, den Teamstern, den Großindustriellen, der Regierung, den Exilkubanern, den Parteien und Extremisten, CIA und FBI schafft kein höheres Gesetz der Geschichte Ordnung. Vielmehr sind die jeweiligen Konstellationen so labil, daß Zufälle weitreichende Folgen haben können und drei Männer Geschichte schreiben. Bondurant, Littell und Boyd handeln unter dem schwankenden Einfluß von Geldgier, Drogen, Liebe und Haß. Diese Motive werden gewöhnlich nicht berücksichtigt, wenn die Erfolgsgeschichte der Vereinigten Staaten geschrieben wird. Ellroy legt die Kontingenz hinter dieser Story frei. Sein implizites Argument für diese Historiographie der „unbemerkten Männer“ ist bedenkenswert: Die hohe Komplexität der politischen Prozesse und die unabsehbare Anzahl der sie betreffenden Variablen ergeben so komplizierte Lagebeschreibungen, daß nichts zwingend aus ihnen folgt. Anything goes. Wenn aber die Lage unentscheidbar ist, kommt den sonst unwichtigen Taten unbekannter Männer die Bedeutung des ausschlaggebenden Staubkörnchens auf der Waage zu.

So, aus Zufällen und Marginalien, entsteht der Komplott zur Ermordung von JFK. Ellroys grandioser Roman beschreibt gleichsam eine Ursuppe aus Erpressung, Geldwäsche, Drogenhandel, sexuellem Begehren, Sucht und Paranoia, aus welcher erst jene Ordnung hervorgeht, mit deren wohlgeordneter Oberfläche sich die offiziösen Promotoren des amerikanischen Traums zu begnügen scheinen. Dieser Blick dahinter, hinein in den Schmutz, ist so erstaunlich und kohärent wie in seinen LAPD-Thrillern, der Stil so hardboiled und schnoddrig wie gewohnt. Überraschend ist, daß niemand Ellroy dafür verklagt, daß er alle Schmuddelkinder bei ihrem echten Namen nennt. Aber schließlich steht ja „Roman“ unter dem Titel. Und wenn drin ist, was draufsteht, dann ist die erzählte Wirklichkeit nur eine fiktive, so wahrscheinlich sie auch ausschaut.

James Ellroy: „Ein amerikanischer Thriller“. Aus dem Amerikanischen von Stephen Tree. Hoffmann und Campe 1996, 638 Seiten, geb., 49,80 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen