: Mehrwertsteuer soll in Sozialleistungen fließen
■ Versicherungsfremde Leistungen werden aus der Steuererhöhung finanziert
Bonn (dpa) – Die Einnahmen von rund 30 Milliarden Mark aus der geplanten Erhöhung der Mehrwertsteuer sollen zur Hälfte zum Abbau versicherungsfremder Leistungen in den Sozialkassen verwendet werden. Diese Einigung deute sich innerhalb der CDU/CSU an, hieß es gestern in Bonner Koalitionskreisen. Die andere Hälfte der Einnahmen solle zur Finanzierung der Steuerreform eingesetzt werden. Sozialpolitiker der Union hatten mehrmals gefordert, der Bund solle mit einem Teil der Erlöse aus der höheren Mehrwertsteuer bestimmte, bisher von den Sozialversicherungen getragene Leistungen finanzieren. Davon versprechen sich die Sozialpolitiker eine Senkung der Lohnnebenkosten und damit mehr Beschäftigung.
Die FDP äußerte sich zurückhaltend zu den Überlegungen beim Koalitionspartner. Welche versicherungsfremden Leistungen nach dem Kompromiß in der Union aus Mitteln der Mehrwertsteuer bezahlt werden sollen, war zunächst nicht bekannt. „Versicherungsfremd“ sind solche Leistungen von Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherungen, die von den Sozialkassen getragen werden, obwohl sie nicht zu deren eigentlichem Aufgabenbereich gehören und normalerweise aus Steuergeldern bezahlt werden müßten. Als Beispiele werden oft die Fremdrenten und das Geld für die Angleichung der DDR-Renten an Westniveau genannt. Die Koalition visiert im Zusammenhang mit ihrer geplanten Steuerreform eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte auf 17 Prozent an. Ein Prozentpunkt ist 15 Milliarden Mark wert. FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms sagte zu einer möglichen Umschichtung in der Finanzierung von Leistungen von den Sozialversicherungen auf den Bundeshaushalt, für die Liberalen sei dies kein Tabu. Die CDU habe bisher aber keine Gespräche mit der FDP darüber aufgenommen. Auch müsse es insgesamt um Abgabenentlastung gehen und nicht um eine Umfinanzierung. Im Streit um die Steuer- und Arbeitsmarktpolitik hat das Mitglied des Sachverständigenrates der fünf Wirtschaftsweisen, Wolfgang Franz, dafür plädiert, die Mehrwertsteuer zu erhöhen und im Gegenzug die Sozialbeiträge zu senken.
Dies wäre das kleinere Übel, sagte der Konstanzer Professor gestern. Für die Beschäftigung sei die Besteuerung des Konsums am wenigsten schädlich. Die Lohnzusatzkosten müßten gesenkt werden. Die von Kohl geforderte Umwandlung von Überstunden in neue Arbeitsplätze lehnte er ab. Dies sei kein Patentrezept. Franz verwies auf kurzfristige Auftragsschwankungen, Überstunden in kleinen Betrieben oder bei hochqualifiziertem Personal.
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