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Mit Blick für die Details und Besonderheiten

■ Ein „Frauenreiseführer“ zu New York, der auch Männern dringend empfohlen sei. Ein Buch mit Naheinstellung auf die nur scheinbar molochartige Stadt

New York. Little Italy. Das ist lediglich noch ein für die Touristen pittoresk mit grünweißroten Wimpeln dekorierter Straßenzug. Rundherum wächst das chinesische Viertel. Wenige Blocks weiter verblaßt ein großes Wandgemälde mit der Werbung für jüdischen Religionsbedarf: „Würdiger beten in Gebetsschals von... (Name unleserlich)“. Unterhalb des neugothischen Frieses über der kleinen Stadtkirche im East Village mit der eingemeißelten Inschrift „First German Methodist Episcopal Church“ stellt sich neonblau die neue Kirchengemeinde vor: „Iglesia Metodista Unida de Todas las Naciones“. Nirgendwo wird der stete Strom verschiedener Immigrantengruppen in die USA deutlicher als hier im Süden Manhattans, in der Lower East Side.

Wenn die Sweat-Shops, in denen genau wie früher die jüdischen, heute die chinesischen Textilarbeiterinnen malochen, interessantere Eindrücke bieten als die Freiheitsstatue oder das Empire State Building, wenn die New- York-Besucherin solche Details wahrnimmt, so könnte das auch ein Verdienst von Anne Quirins Reiseführer „New York für Frauen“ sein. Sie lenkt den Blick aufs Detail, verführt zum genauen Hinschauen.

New York erscheint den meisten „Anfängern“ als unübersehbarer, hektischer Moloch. Doch die Stadt ist in überschaubare, mancherorts geradezu gemütliche neighborhoods gegliedert. Also keine Panik. Und durch jedes dieser Stadtviertel führt Anne Quirin. Durch das East Village zum Beispiel mit seinen zahlreichen durch Nachbarschaftshilfe entstandenen community gardens. Durch SoHo mit seinen alten Manufakturen und Großhandelshäusern hinter korinthischen Säulen aus Gußeisen, die jetzt oft überteuerte Galerien beheimaten. Oder durch die distinguierte Upper East Side, wo man an Livrierten vorbei in marmorne Eingangshallen schielen kann.

Und der Führer macht nicht dort halt, wo die meisten anderen Reiseführer aufhören. „Harlem ist eines der interessantesten und schönsten Stadtviertel Manhattans“, so der für viele wohl überraschende Beginn des Kapitels über das berüchtigte Viertel im Norden der Insel. Nur die Stadtteile außerhalb Manhattans, Brooklyn, Queens, Bronx und Staten Island, kommen ein bißchen zu kurz.

Jeder Stadtteil wird mit seiner Geschichte, seinen Besonderheiten und seinen Sehenswürdigkeiten vorgestellt. Museen, Galerien, Läden, Gaststätten und Veranstaltungsorte sind am Ende jedes Kapitels übersichtlich aufgelistet – mit einer gewissen Übergewichtung bildungsbürgerlicher Interessen wie Buchläden und einer Vernachlässigung jugendlicherer Interessen wie Discos.

Man findet jedoch noch mehr: etwa eine Auflistung sogenannter Walking Tours, die Einblick in das Leben ostjüdischer Immigranten geben, durch private Kunstsammlungen führen oder durch die Parks, wo einem der wildman die eßbaren Pflanzen zeigt.

Bleibt allein die Frage: Warum sollte das alles speziell für Frauen interessant sein? Die im Buch verstreuten Frauenporträts – beispielsweise eine Galeristin aus SoHo, eine Textilgewerkschafterin aus dem Garment District oder die Inhaberin eines Friseursalons in Harlem – wirken gewollt. Ob der Verlag da lediglich mit einem Marketing-Gag das Verschwinden im Meer der Reiseführer verhindern wollte? Nicola Liebert

Anne Quirin: „New York für Frauen“, Elster-Verlag, Berlin und Zürich 1996, 380 S., 34 DM

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