: "Ein Bubenstück von RWE"
■ Interview mit dem Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck (SPD), zum BGH-Urteil über das AKW Mülheim-Kärlich: "Das Urteil ist eine Ohrfeige für Helmut Kohl"
taz: Herr Ministerpräsident, wie beurteilen Sie das Urteil des Bundesgerichtshofes zum AKW Mülheim-Kärlich?
Kurt Beck: Das Urteil bewerte ich positiv, denn von sieben Begehren auf Schadenersatz, die das Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk (RWE) eingebracht hat, sind vier endgültig abgelehnt worden. Und von den drei verbleibenden Begehren ist es so, daß eines zur Hälfte zurückgewiesen wurde. Da geht es um die Finanzierung der Brennstäbe. Das Gericht hält in diesem Zusammenhang allenfalls einen Schadenersatz für die Erstausstattung für möglich. Bei den beiden verbliebenen Begehren handelt es sich um Schadenersatzbegehren für die Baukosten und die Stillstandskosten. Wobei das Gericht hier auch keine Entscheidung getroffen hat, sondern auf Rückverweisung an das Oberlandesgericht erkannt hat.
Aber das Gericht hat doch geurteilt, daß die Landesverwaltung gepfuscht hat.
Das Gericht hat gesagt, daß die Erteilung der ersten Teilerrichtungsgenehmigung durch die damalige Regierung Kohl ein schwerer Fehler gewesen sei, daß aber RWE die Genehmigung mit betrieben habe. Und deshalb kann der Betreiber hier schwerlich auf Schadenersatz klagen, weil er die Sache selbst mit betrieben hat, und weil RWE wissen mußte, daß diese erste Genehmigung falsch war.
Ist das Urteil nicht auch ein Antikorruptionsurteil oder wenigstens ein Urteil, daß zu mehr Sorgfaltspflicht bei der Prüfung und Genehmigung von Anträgen für Großprojekte animieren sollte?
Fest steht, daß mit diesem Urteil erstmals die Staatshaftungsfrage richterlich bewertet wurde – und die Staatshaftung nicht grundsätzlich ausgeschlossen wurde. Fest steht auch, daß man heute von einem Zusammenwirken der Regierung Kohl und der Betreibergesellschaft ausgehen muß, die mit dem Wort Kumpanei von einem Nichtjuristen durchaus treffend beschrieben werden könnte. Und das, sagt der BGH, ist nicht in Ordnung. Selbst wenn der Betreiber diese Genehmigung unbedingt so haben wollte, ist die Behörde verpflichtet – auch im Schutzinteresse des Antragstellers – objektiv zu prüfen und zu verfahren.
Was bedeutet das Urteil für zukünftige Großprojekte?
Das hat schon gravierende Auswirkungen auf die öffentliche Verwaltung. Das könnte bedeuten, daß die Genehmigungsfristen noch sehr viel länger werden, als sie es heute schon sind. Und das kann durchaus negative Auswirkungen auf den Standort Deutschland haben. Wenn RWE das bedacht hätte, wäre es für ein so großes Unternehmen sicher nicht unklug gewesen, auf dieses Schadenersatzverfahren zu verzichten.
Das ganze war ein böses Bubenstück von RWE. Und das Urteil ist eine Ohrfeige – für Helmut Kohl. Sollte RWE vor dem OLG in Koblenz weiter auf Schadenersatz bestehen, dann gehe ich davon aus, daß der Konzern seine gesamte Stromkostenkalkulation offenzulegen hat. Da wird man dann voraussichtlich sehen, daß die Stromkunden alles schon bezahlt haben. Interview: Klaus-Peter
Klingelschmitt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen