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Ermessen vergessen?

■ Juristisches Hickhack um Bleiberecht für die Überlebenden von Lübeck

An wohlklingenden Appellen mangelte es nicht. Pünktlich zum Jahrestag des Brandanschlags auf die Flüchtlingsunterkunft in der Lübecker Hafenstraße 52 reihte sich auch Schleswig-Holsteins Innenminister Ekkehard Wienholtz (SPD) in die Reihen derer ein, die sich öffentlich für das Recht der Überlebenden aussprechen, in Deutschland zu bleiben. Nun plädiert auch er für eine „humanitäre Geste“ und bittet Bundesinnemninister Manfred Kanther (CDU), „sein dafür notwendiges Einvernehmen zu erteilen“. In der kommenden Woche will der Kieler Landtag eine entsprechende Resolution verabschieden.

An Taten, die mit den Worten einhergehen, mangelt es allerdings noch. Denn niemand will befugt sein, das Bleiberecht zu gewähren. Lübecks Bürgermeister Michael Bouteiller (SPD) verweist auf Wienholtz, der wiederum will nur mit Kanthers Segen handeln. Er beruft sich auf einen Passus im Ausländergesetz, der die Zustimmung des Bundesministers zur Bedingung erhebt.

Dem halten einige JuristInnen entgegen, daß jener Paragraph 32 gar nicht einschlägig sei. Er betreffe nämlich nur ein Aufenthaltsrecht für „Kontingentflüchtlinge“: Würde beispielsweise Hamburg allen BosnierInnen den Aufenthalt gestatten, müßte der Bundesminister dazu sein Ja-Wort geben, da eine solche Entscheidung über das Interesse eines einzelnen Landes hinausgeht. Im Fall Lübeck geht es dagegen konkret um 34 Flüchtlinge.

Mit ein bißchen Courage, so die Landesvorstandssprecherin der Kieler Grünen, Antje Jansen, könne Wienholtz das Bleiberecht garantieren. Einmal ausgesprochen, hätte das auch Bestand. Denn anders als etwa im Atomrecht, wo ein Bundesminister vom Land im nachhinein die Korrektur einer Entscheidung verlangen kann, habe Kanther eine solche Weisungsbefugnis im Ausländerrecht nicht.

Unbeeindruckt von der plötzlichen öffentlichen Sorge um die Überlebenden des Brandes zeigten sich Rechtsradikale in der Nacht zum Freitag. Sie beschmierten die Lübecker St.-Jürgen-Kapelle mit Hakenkreuzen. In der Kirche war ein Gottesdienst zum Gedenken an die Opfer des 18. Januar 1996 abgehalten worden. Elke Spanner

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