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Als die Gaslaternen brennen lernten

■ Gaslaternen oder Gasherde – noch immer ist die Gasag, die nun verkauft werden soll, Europas größter Gaslieferant. Eine kleine Geschichte der Gasversorgung

Der Boulevard Unter den Linden hatte sie zuerst. Am 19. September 1826 erstrahlte im Zentrum Berlins die erste Gaslaterne. Obwohl das elektrische Licht schon 60 Jahre später den Siegeszug antrat, ist sie bis heute nicht aus dem Stadtbild verschwunden. Allein im Westteil der Stadt gibt es über 42.000 Leuchten in moderner oder historischer Form. Nicht zuletzt der Protest von Bürgern hat für ihren Erhalt gesorgt. Die schönsten Exemplare – über 90 verschiedene Ausführungen – können in einem 1978 im Tiergarten eröffneten Gaslaternen-Freilichtmuseum bewundert werden.

Als vor über 170 Jahren die erste Gaslaterne anging, stand die Versorgung noch unter englischer Regie. Die Imperial Continental Gas Association hatte mit dem Königlichen Ministerium des Innern einen Vertrag geschlossen, für 3.100 Thaler im Jahr für die Beleuchtung der Berliner Straßen zu sorgen. Erst mit Ablauf des 21jährigen Vertrages nahmen 1847 die städtischen Gaswerke die Produktion auf. Die ersten 2.055 stadteigenen öffentlichen Gaslaternen erleuchteten die Innenstadt.

Daß die Engländer zuerst zum Zuge kamen, lag an ihrem Vorsprung bei der industriellen Entwicklung. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatten sie mit der fabrikmäßigen Gaserzeugung und seiner wirtschaftlichen Verwertung in größerem Stil begonnen. Wie das Gas nach Berlin kam, ist in dem Buch „Die Geschichte der Gasversorgung in Berlin“ von Hilmar Bärthel nachzulesen, das jetzt zum 150jährigen Firmenjubiläum der Gasag erschien.

In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts weitete sich die Anwendungspalette aus. 1850 kamen die ersten Gasherde in Gebrauch. In Berlin gehörte die „Kochmaschine“ – eine Kombination von Gas- und Kohleherd – bald zum Alltag. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts folgten die gasbetriebene Waschmaschine, gasbeheizte Bügelmaschinen und Gasbadeöfen. In den 20er Jahren wurden erstmals öffentliche Räume per Gas gewärmt, die Gasheizung in Privatwohnungen setzte sich in den 50er Jahren durch. Eine Ausstellung im Deutschen Technikmuseum Berlin bietet dazu Anschauungsmaterial.

Die Berliner Gaswerke begannen mit einem Versorgungsnetz von 150 Kilometern. Heute sind es 6.600 Kilometer. Das entspricht in etwa der Entfernung Berlin–New York. Kurz nach der Bildung von Groß-Berlin 1920 wurde Europas größter Gasversorger, die Städtischen Gaswerke AG (Gasag) gebildet. Sie versorgte die mit 3,8 Millionen Einwohnern damals nach Los Angeles flächenmäßig zweitgrößte Stadt der Welt.

Auch heute ist die Gasag nach eigenen Angaben noch größter kommunaler Gasversorger in Westeuropa. Rund 800.000 Kunden werden versorgt. Ein einheitliches Netz für die nach dem Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang geteilte Stadt gibt es erst wieder seit 1994. Margret Scholtyssek, dpa

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