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Leben im unfreiwilligen Exil

Nach Morddrohungen radikaler Islamisten ist der algerische Journalist Ahmed Ziri nach Deutschland geflohen. Jetzt läuft seine Aufenthaltserlaubnis ab  ■ Von Heike Haarhoff

Seine Kinder erfuhren es erst, als ihr Vater bereits im Mantel in der Tür stand. Seinen Kollegen bei der Zeitung sagte er nur „tschüs“ wie jeden Abend, und von den meisten seiner Freunde und Bekannten verabschiedete sich Ahmed Ziri* gar nicht. „Mit mangelndem Vertrauen hatte das nichts zu tun.“ Der Journalist Ahmed Ziri wollte niemanden mit seinen Absichten gefährden: Daß er Algerien für unbestimmte Zeit verlassen, in der Redaktion nicht mehr auftauchen und nach Deutschland flüchten würde. Um sein Leben zu retten. Das war im August 1995.

„Mein Name stand auf allen Todeslisten, die die Islamisten in den Moscheen im ganzen Land ausgehängt hatten.“ Die täglichen Drohungen, die anonymen Anrufe, die Verfolgungsängste. Die Familie, die Frau, die ihn bedrängte: Geh weg von hier, ich habe Angst um dich. Und schließlich die Schreckensmeldungen über die Morde an befreundeten Journalisten, Schriftstellern, Professoren, Künstlern. Algerische Intellektuelle, die vehement gegen das amtierende Regime agierten, „dieser politischen Mafia“ aus Militärs und Funktionären der ehemaligen Einheitspartei FLN. Und die sich zugleich öffentlich gegen die radikale Islamisierung der algerischen Gesellschaft und das Machtstreben der verbotenen oppositionellen Islamischen Heilsfront FIS (Front Islamique du Salut) ausgesprochen hatten. Wie Ahmed Ziri, der der Minderheit der Berber angehört.

„Das ist in Deutschland so schwer zu vermitteln“, sagt der 50jährige. „Als Oppositionelle werden wir von der algerischen Regierung zwar nicht verfolgt, aber auch nicht vor Anschlägen und Massakern der terroristischen Islamisten geschützt.“ Die sprechen Ahmed Ziri das Recht auf Leben ab, „und beglückwünschen sich in aller Öffentlichkeit, wenn sie wieder einen von uns abgeknallt haben. Leute wie ich sind für die automatisch Regierungsanhänger, weil wir uns gegen sie wehren und in einem von ihnen favorisierten Staat nicht leben wollen.“

In Deutschland übrigens auch nicht. Hamburg war eine Notlösung, die sich sonntags nach einem Anruf in Panik bei der deutschen Botschaft in Algier ergab und am darauffolgenden Mittwoch auf dem Luftweg umgesetzt wurde. „In Frankreich, wo ich wenigstens weiterhin hätte publizieren können, sollte mein Gesuch erst mal vier Wochen lang geprüft werden. Ich hätte im Sarg einreisen können.“ An der Elbe erwarteten ihn „immerhin ein paar Bekannte“. Und die Sprachlosigkeit. „Die totale Blockade“ erlebte der Journalist, für den politische Debatten und Analysen seit der algerischen Unabhängigkeit im Jahr 1962 zum täglichen Geschäft gehören, im Deutsch-Intensivkurs an der Hamburger Universität. Hängengeblieben ist nur ein Wort: Aufenthaltsgenehmigung. Die läuft am 28. Januar ab. Was danach wird?

Ahmed Ziri wird „bald verrückt“. Nur wer nachweislich von der Regierung seines Heimatlandes verfolgt wird, erhält in Deutschland politisches Asyl. „Die europäische Bürokratenlogik ist unfähig, außergewöhnliche Situationen zu berücksichtigen.“ Ahmed Ziris einjähriges Stipendium der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte ist nicht verlängerbar, die Finanzspritze einer Journalisten-Hilfsorganisation bald aufgebraucht. Die Ausländerbehörde verlangt Versicherungsnachweise. Ohne Bürgschaft kein Aufenthalt. Höchstens illegal. „Sich wie eine Ratte verkriechen? Nein.“ Die Diskussion ist für Ahmed Ziri beendet. „Notfalls gehe ich zurück.“

Und doch lähmt die Gewißheit über die Ungewißheit in diesem unfreiwilligen Exilleben. „Es gibt Momente, da bin ich völlig verzweifelt vor lauter Orientierungslosigkeit.“ Monatelang hatte Ahmed Ziri „Zeit wie nie zuvor, beispielsweise diese Stadt zu erkunden“. Doch die einzigen Erinnerungen an Hamburg setzen sich aus Fernsehbildern aus Nordafrika, arabisch- und französischsprachigen Radioberichten und quälenden Gedanken zusammen, die immer nur um eins kreisen: Algerien, dem man „nach 50 Jahren nicht so einfach den Rücken kehrt“. Algerien, „das ich liebe“. Ein wirtschaftliches „Katastrophenland“ mit einer Analphabetenquote von 30 Prozent und einer Jugend, „die keine Zukunftsperspektive sieht und deshalb blind den Verdummungsappellen der Islamisten folgt – und ich sitze hier untätig rum.“

Die Versuchung, zurückzukehren, und sei es nur für ein paar Stunden, wächst mit jedem Tag. „Als ich nach Deutschland kam, dachte ich, ich bleibe sowieso nur kurze Zeit, bis sich die innenpolitische Situation entspannt.“ Eineinhalb Jahre später hat sie sich nur verschärft. Zur Zielscheibe der Islamisten, die Anfang der 90er Jahre vor allem politisch unliebsame Einzelpersonen ermordeten, gerät zunehmend die ganz gewöhnliche Bevölkerung. „Wahllos fallen sie in Dörfer ein, schneiden 14 Menschen die Kehle durch. Und dann behaupten diese Marionetten im Parlament, alles im Griff zu haben.“ Solange das Regime den Terrorismus „nicht als Regierungsproblem, in das man sich einzumischen hätte, sondern als nationalen Kampf“ begreife, ändere sich daran wohl nichts.

Ein Ende des Bürgerkriegs ist auch nicht in Sicht: Im Dezember 1991 sollte in Algerien erstmals ein unabhängiges Parlament gewählt werden. Doch als nach dem ersten Wahlgang die Islamische Heilsfront (FIS) weit vorne lag, sagten die Machthaber den zweiten Urnengang kurzerhand ab. Der Zorn der Fundamentalisten ist militanter als je zuvor. Wenn er „Pech“ habe, sein Mund verzieht sich, „werde ich bei der Rückkehr nicht einmal von den Islamisten aufgespürt, sondern gehe ganz gewöhnlich mit einer Bombe im Bus in die Luft“. Das Traurige daran sei, daß viele westliche Beobachter wohl selbst dann nicht begriffen, was in Algerien eigentlich geschehe. „Die wollen immer über Menschenrechte diskutieren. Ich sage, es gibt Dringlicheres: das Recht auf Leben.“

Niemals wäre Ahmed Ziri in Algerien pünktlich zu einer Verabredung gekommen. Egal, ob er die Leute kannte oder nicht. „Man mußte immer damit rechnen, daß die Telefone abgehört werden oder die Terroristen am Treffpunkt lauern.“

Bereits ein Jahr vor seiner Flucht nach Hamburg ließ sich Ahmed Ziri in seinem Haus nicht mehr blicken, sah seine Familie kaum. „Aber selbst, als ich schon weg war, sind sie noch zweimal ins Viertel gekommen, um die Nachbarn nach meinem Verbleib auszuhorchen. Sie müssen gewußt haben, daß ich außer Landes war, aber sie wollten sichergehen.“

Um öffentlich bloß nicht wiedererkannt zu werden, nahm sich Ahmed Ziri schweren Herzens seinen 20 Jahre alten Schnurrbart ab, mottete Anzug und Krawatte, Aktenkoffer und Dokumentenmappe ein. Niemand sollte auf die Idee kommen, einen Journalisten vor sich zu haben. „Artikel, die ich außerhalb der Redaktion schrieb, brachte ich deswegen später in einer Plastiktüte zwischen den Einkäufen in die Zeitung.“

Aber auch in Hamburg lebt der Algerier auf der Hut. Den Kontakt zu Nordafrikanern meidet er ebenso wie das Viertel rund um die Moschee an der Außenalster. „Da hocken zu viele Kollaborateure.“ Daß sie es wagen würden, ihn hier im Exil umzubringen, traut er ihnen zwar nicht zu. „Aber sie würden, sobald sie mich erkannt hätten, Informationen nach Algerien weiterleiten. Und dort wartet man sowieso geduldig auf mich.“

* Name von der Redaktion geändert

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