SPD will staatliche Diät verordnen

Parteichef Oskar Lafontaine geht in die Offensive. Eine von ihm geleitete SPD-Kommission legt Thesen zu künftigen Staatsaufgaben vor. Sozialleistungen auf Kernbereiche beschränken  ■ Von Severin Weiland

Das Papier umfaßt sieben Seiten und trägt den optimistischen Titel „Moderner Staat in einer modernen Gesellschaft“. Sein Inhalt dürfte auf einer SPD-Konferenz Anfang Februar in Bonn, die sich der öffentlichen Verwaltung widmet, für Zündstoff sorgen. Denn in den von der SPD-Fachkommission „Fortschritt 2000“ herausgegebenen Thesen wird deutlich wie nie zuvor eine Beschränkung staatlicher Hoheitsaufgaben gefordert. „Die Ansprüche an den Staat“, so heißt es dort, „müssen zurückgenommen werden.“

Das Papier ist offenbar ein Versuchsballon des SPD-Parteichefs Oskar Lafontaine. Die von ihm geleitete 31köpfige Fachkommission, der unter anderem die schleswig- holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis und der nordrhein- westfälische Wirtschaftsminister Wolfgang Clement angehören, soll das Programm für den Bundestagswahlkampf 1998 erarbeiten. Gleich mehrfach schlachtet die Kommission in ihrem Papier heilige Kühe der Partei, die insbesondere bei Gewerkschaftsfunktionären und Basis Unmut auslösen dürften: Gesellschaftliche Aufgaben müßten nicht „zwangsläufig vom Staat erledigt werden“, diese sollten „grundsätzlich“ ausgeschrieben werden, um staatlichen, privaten und gemeinnützigen Anbietern gleiche Chancen zu bieten. Angesichts der Finanzschwierigkeiten der Kommunen plädiert die SPD-Kommission generell für einen stärkeren Wettbewerb zwischen Staat und Privaten. Damit könnten „Bürger und Wirtschaft viel Geld“ einsparen. Angemahnt wird daher auch eine Verringerung der Personalkosten in den Haushalten von Bund, Ländern und Kommunen. Die Begründung der Thesen fällt hingegen vage aus. Konservative Politik, so heißt es eingangs, wolle aus „rein ideologischen Gründen den Staat immer mehr zurückdrängen“ und zum „Nachtwächterstaat des 19. Jahrhunderts“ zurück. Für die SPD sei aber die „Bestimmung der Staatsaufgaben keine Frage der Ideologie, sondern der praktischen Vernunft“.

Ein Schnitt bei öffentlichen Aufgaben wird in dem Papier für „humane Dienstleistungen“ eingefordert, unter dem die Kommission die Bereiche Kultur, Freizeit, Bildung, Weiterbildung, Gesundheit und Pflege faßt. Zwar seien hier „enorme Beschäftigungspotentiale“ vorhanden, zugleich müsse die staatliche Finanzierung diese kostenlosen oder -günstigen Angebote auf „Grundleistungen für Bevölkerungsschichten mit niedrigem Einkommen konzentrieren“. Eine Ausweitung der Staatsaufgaben sei hingegen „weder möglich noch sinnvoll“. Mit dem Zurückschrauben auf derartige Kernaufgaben hofft die Kommission, den privaten Sektor stärken zu können. Der Kommission schwebt eine Zweiteilung vor: Hier weiterhin kostengünstiger Service für die Ärmsten, dort Angebote für Besserverdienende, die diese dann aus eigener Tasche bezahlen. Im Text lautet diese Formel so: Durch die Konzentration auf Kernaufgaben werde „im Bereich mittlerer und höherer Einkommen Raum für zusätzliche private Nachfrage geschaffen“. Derartige Angebote könnten etwa durch die Zusammenarbeit von gemeinnützigen Einrichtungen und öffentlicher Hand erbracht werden.

Flexibilität wird dem Öffentlichen Dienst verordnet: Unter anderem sollen beruflicher Aufstieg und Bezahlung nicht mehr allein von Bildungsabschlüssen abhängig sein. Auffällig am Papier ist, was keine Erwähnung findet. Vom Berufsbeamtentum ist zwar die Rede, zugleich aber auch von dessen Beschränkung auf Kernbereiche, zu denen „insbesondere“ Polizei und Justiz zählten – Lehrer und Hochschulprofessoren aber werden schlichtweg nicht genannt.