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Empörung über Herwig Haase

■ SPD und Grüne kritisieren Erklärung des Parlamentspräsidenten zum Gedenktag der Holocaust-Opfer

Auf scharfe Kritik ist die Erklärung von Parlamentspräsident Herwig Haase (CDU) zum heutigen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus gestoßen. Haase hatte dazu aufgerufen, „ohne Ausgrenzung an alle Opfer zu erinnern“. Dazu gehören laut Haase neben Juden, KZ-Häftlingen und politisch Verfolgten auch Vertriebene, Flüchtlinge, Opfer des Bombenkrieges, gefallene Soldaten, Kriegsgefangene sowie „Opfer, die zuvor Täter waren“.

SPD und Bündnisgrüne verurteilten die Vermischung von Opfern und Tätern. „Das war nicht der Sinn des Gedenktages“, erklärte der Sprecher der SPD-Fraktion, Hans-Peter Stadtmüller. „Diese Form der Geschichtsschreibung teilt die SPD nicht.“

Auch die Grünen verurteilten Haases Erklärung scharf. „Der Gedenktag erinnert an die Opfer des Holocaust und die historisch einmalige Völkervernichtung durch die Nationalsozialisten“, erklärte Pressesprecher Matthias Tang. Diese Einmaligkeit müsse im Bewußtsein bleiben. Eine Vermischung von Opfern und Tätern laufe dem zuwider.

Mit seiner Umdeutung des Gedenktages steht Parlamentspräsident Haase auch in Widerspruch zu Bundespräsident Roman Herzog, der den Gedenktag für die Opfer des Holocaust im vergangenen Jahr eingeführt hatte. Als Datum hatte Herzog den 27. Januar, den Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, gewählt. Der Bundespräsident hatte vor einem Jahr bei einer Feierstunde im Bundestag ausdrücklich erklärt, an diesem Tag solle derer gedacht werden, die der Ideologie „vom nordischen Herrenmenschen“ zum Opfer gefallen seien. Für Kriegsopfer und Flüchtlinge gebe es den Volkstrauertag, hatte der Bundespräsident damals betont.

Haase hingegen geht es „um die Gesamtheit der Leidenserfahrungen in einem totalitären Herrschaftssystem“. Im Gedenken der sechs Millionen ermordeten Juden dürfe sich die Gemeinsamkeit nicht erschöpfen, so Haases Argumentation. Denn „allein die gemeinsame Erinnerung an die gemeinsame Vergangenheit“ stifte Gemeinsamkeit.

Auf eine Gedenkveranstaltung hat das Abgeordnetenhauses bewußt verzichtet. Wie der Sprecher des Parlamentspräsidenten, Jörg- Dietrich Nackmayr mitteilte, hatte der Ältestenrat beschlossen, sich zwei Veranstaltungen der Jüdischen Gemeinde im Centrum Judaicum anzuschließen. Dort finden eine Podiumsdiskussion sowie ein Konzert und eine Lesung statt. Dorothee Winden

siehe auch Bericht Seite 22

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