: Der herbeigeredete Notstand
■ Die organisierte Kriminalität: Eine vielbeschworene Gefahr, die Juristen und Polizei zu gedanklichen Höhenflügen animiert
Was organisierte Kriminalität eigentlich ist, wer sie begeht und wen sie bedroht, war am Montag abend nicht zu erfahren. Die Existenz dieser vielbeschworenen Gefahr für die Gesellschaft wurde von der auf dem Podium versammelten Fachkompetenz vorausgesetzt, die auf Einladung des „Kommunikationsvereins Hamburger Juristen“ und des „Hamburgischen Richtervereins“ diskutierte. Einig waren sich alle letztlich nur in einem Punkt: Dem organisierten Verbrechen müsse es ans Geld gehen – daher forderten letztlich alle, daß bessere Möglichkeiten geschaffen werden müßten, illegal erworbenes Vermögen einzuziehen.
Doch schon das Ausmaß der Gefahr war dann Verhandlungsmasse. So wollte Generalstaatsanwalt Arno Weinert wegen der völligen Arbeitsüberlastung von Hamburgs Ermittlern etwa den „Rechtsmittelstaat“ in Frage stellen. Er plädierte dafür, Prozesse nur vor einer Instanz zu führen und die Möglichkeit, Urteile überprüfen zu lassen, zu beschränken. Vor derartigen Schritten warnte Rechtsanwalt Otmar Kury. „Mit dem Begriff der organisierten Kriminalität“, so gab er zu bedenken, „soll eine Art Notstand herbeigeredet werden“. Das aufgeblähte Szenario diene nur dazu, die Kompetenzen der Polizei zu erweitern.
Scharfer Widerspruch aus den Reihen der Gewerkschaft der Polizei folgte auf dem Fuße: Herbeigeredet sei, so Konrad Freiberg, nicht das organisierte Verbrechen, sondern jegliche Skepsis gegenüber der Polizei. „Es gibt real keinen Mißbrauch von Polizeikompetenzen“ stellte Freiberg selbstbewußt in den Raum, um zu ergänzen, welche weiteren Rechte der Polizei vertrauensvoll an die Hand gegeben werden müßten: „Wir brauchen den großen Lauschangriff, wir brauchen mehr Personal, und vor allem brauchen wir unbedingt eine Beweislastumkehr.“
Selbst Wolfgang Sielaff, Leiter des Landeskriminalamtes und wahrlich nicht zimperlich, wenn es darum geht, für seine Jungs zu kämpfen, zog da nicht mehr mit. „Ich möchte nicht der Vorgesetzte eines Polizisten sein, der zur Verbrechensbekämpfung Straftaten selbst begehen darf, um andere aufzuklären“. Sielaff sah das Problem der organisierten Kriminalität darin, daß es schwer zu ermitteln sei, denn „es gibt keine verdeckten Ermittler in den Chefetagen von Wirtschaftsunternehmen“. Immerhin ein Hinweis darauf, daß organisiertes Verbrechen eher Wirtschafts-, als Bandenkriminalität auf der Straße sein könnte. Offen blieb allerdings die Frage, wieso als Beispiel für die organisierte Kriminalität so oft Albaner oder Rumänen herhalten müssen. Elke Spanner
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