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„Schafft die Germanistik ab!“

■ Der Literaturwissenschaftler Klaus Briegleb verläßt die Uni

„Die Literaturgeschichte ist eine Wüste“, resümiert Klaus Briegleb vierzig Jahre literaturhistorischer Arbeit an den Universitäten München und Hamburg. Er kritisiert damit eine Germanistik, die mit kanonisch angespitzten Meßlatten Perioden und Epochen abzustecken versucht, die Literatur mit kleinen Zettelchen versieht und in den Regalen eines wissenschaftlich beglaubigten Kontinuums verschwinden läßt. Folge dieser Ordnungskrämerei: An den Unis wird nicht mehr gelesen.

Briegleb, seit 1972 Professor für Literaturtheorie und Literaturgeschichte in Hamburg, hielt in diesem Semester seine Abschiedsvorlesung unter dem Titel „Literaturgeschichte in Lektüren“. Der 65jährige schleppte stapelweise Bücher in den Hörsaal, aus denen er im schönsten Sinne des Wortes vorlas. Dabei kommentierte und assoziierte er, holte zu philosophischen Schleifen aus und führte ein philologisches Kaleidoskop vor. Wider das Ordnungsbegehren des Historismus' entwickelte der Heine-Spezialist „Leselinien, die durch die Epochenschnitte hindurchführen“. Er will „keine Ergebnisse aus Literatur herausquetschen“.

Literaturbegriff und Wissenschaftsverständnis Brieglebs, der 1970 über „Lessings Anfänge“ habilitierte, betonen die Notwendigkeit von Debatte und Kritik. Briegleb versteht unter Literatur alles andere als eine gesellschaftsferne Ästhetik. Er sucht gesellschaftspolitische Spuren in literarischen Texten auf und dehnt die Sprachanalyse auf gesellschaftliche Diskurse aus. Seine Analysen decken nicht nur die Mechanismen deutscher Verdrängungskultur auf, sondern auch jene Machtstrukturen, die den Wissenschaftsbetrieb durchziehen.

Der kalte Wind politischer Feindschaft weht ihm bis heute ins Gesicht. Und doch leuchten zwei immer lebhafte, zuweilen auch schalkisch blitzende Augen daraus hervor.

Eine Germanistik, die sich zunehmend ökonomischen Verwertungsinteressen unterwirft, wird Brieglebs politischer Philologie keine Träne nachweinen. Die Professur wird ersatzlos gestrichen. „Schafft die Germanistik ab!“ - lautet dementsprechend der Titel seiner letzten Vorlesung. Damit erinnert Briegleb an den anarchisch-surrealistischen „Schafft ab!“-Gestus der 68er Bewegung. In seiner letzten Veranstaltung wird Briegleb an die 1968 formulierte Kritik wissenschaftlicher Institutionen erinnern. Und er wird ein letztes Mal „von Amts wegen“ die Feder dieser Kritik führen, sprich: mit der heutigen Germanistik abrechnen. Vielleicht, indem er stapelweise Bücher in den Hörsaal schleppt und im schönsten Sinne des Wortes aus ihnen vorliest. Angela Delissen

Heute, 15 Uhr, Phil.-Turm, Hörsaal C, Von-Melle-Park 6

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