In Hamburg wurde am Montag abend das hundert Jahre alte Hafenkrankenhaus besetzt. Die Traditionsklinik im Stadtteil St. Pauli soll geschlossen werden, die rund 400 Beschäftigten auf andere Krankenhäuser der Stadt verteilt werden. Pfleger un

In Hamburg wurde am Montag abend das hundert Jahre alte Hafenkrankenhaus besetzt. Die Traditionsklinik im Stadtteil

St. Pauli soll geschlossen werden, die rund 400 Beschäftigten auf andere Krankenhäuser der Stadt verteilt werden. Pfleger und Krankenschwestern freuten sich über die Solidarität der Einwohner. Gestern herrschte vor der Klinik Volksfeststimmung.

Ein Stadtteil kämpft um seine Klinik

Schwester Sabine strahlte: „Jetzt wird die Station wieder zum Leben erweckt“, frohlockte sie. Anlaß ihrer Freude waren etwa 80 Menschen, die am Montag abend die erste Besetzung eines Krankenhauses in Deutschland begannen: Das hundert Jahre alte Hafenkrankenhaus im Hamburger Stadtteil St. Pauli wurde von der Initiative „Ein Stadtteil steht auf“ besetzt. Gegen 18.30 Uhr hatten sich die Freunde der Traditionsklinik unbemerkt auf das Gelände geschlichen und den Eingangsbereich neben der Pförtnerloge mit Transparenten versehen.

Die Mehrheit der Patienten bekam von der Aktion zunächst nichts mit. Dagegen eilten Pfleger und Krankenschwestern nach vorn ans Tor. Ihre vom Klinikalltag und dem wochenlangen Hickhack um ihre Arbeitsplätze gezeichneten Gesichter hellten sich alsbald auf. „Das ist die Solidarität der Hamburger, auf die wir immer gehofft haben“, so eine Schwester aus der Endoskopie.

Nach den Plänen des Hamburger Senats soll die Klinik, auf halbem Wege zwischen Reeperbahn und Elbe gelegen, zum Ende dieses Monats geschlossen werden, um die finanziellen Folgen der Bonner Gesundheits-„Reform“ zu mildern. Die rund 400 Beschäftigten sollen auf andere kommunale Krankenhäuser der Hansestadt verteilt werden. Ihre Arbeitsplätze sind dennoch nicht gesichert: Anfang nächsten Jahres soll mit dem Abbau von 1.800 Stellen in Hamburgs Krankenhäusern begonnen werden.

Die meisten der 80 St. Paulianer hatten sich Zugang zur Station D verschafft, die vor elf Tagen als erste Abteilung der Kiezklinik geschlossen worden war.

Der Direktor des Hafenkrankenhauses, Hartmut Seidel, mußte draußen bleiben: Als er zu den mit Schlafsäcken und Thermoskannen ausgerüsteten Besetzern wollte, mußte er feststellen, daß sein Schlüssel nicht zu dem neuen Schloß paßte. Währenddessen versammelten sich vor der mit Transparenten geschmückten Klinik mehrere hundert Menschen in und um die eilig errichteten Plenums- und Pressezelte der Initiative, brachten Tee und Kaffee mit und diskutierten.

Das ist ein „schöner Querschnitt durch die Bevölkerung St. Paulis“, kommentierte der einzige anwesende Polizeibeamte am Abend, der die Lage gelassen begutachtete. Von der benachbarten Bavaria-Brauerei, die ebenfalls von Schließung bedroht ist, schleppten drei Arbeiter ein paar Kisten Bier heran: „Ein Geschenk der Geschäftsführung“, grinste einer von ihnen sarkastisch.

„Dies ist eine Aktion des zivilen Ungehorsams gegen die Kahlschlagpolitik des Hamburger Senats“, formulierte Ini-Sprecher Frank Eyssen am späten Abend zehnmal nacheinander in die Mikrophone der herbeigeeilten Medienmenschen. Und er fügte hinzu: „Das wird hier kein Rummelplatz werden.“ Der reibungslose Ablauf des Krankenhausbetriebs, das war der Klinikleitung zugesichert worden, sei gewährleistet.

Bei den Beschäftigten des Hafenkrankenhauses traf die Besetzung auf unverhohlene Sympathie. Personalratsvorsitzender Rolf-Peter Krause bedankte sich bei der Initiative für ihre Unterstützung. Er habe alle Mitarbeiter aufgefordert, weiterzuarbeiten und das Gespräch mit den Besetzern zu suchen. „Wir wollen eine Eskalation vermeiden“, sagte Krause. Deshalb werde auch Journalisten der Zugang zur besetzten Station zunächst versperrt.

Gestern nachmittag stand die Situation im und um das Hafenkrankenhaus im Mittelpunkt eines Krisengesprächs im Rathaus. Bürgermeister Henning Voscherau (SPD), der das Problem am Montag kurz vor der Besetzung vollmundig zur Chefsache erklärt hatte, traf sich mit den Führungsspitzen der Hamburger Ärztekammer, der Kassenärztlichen Vereinigung und aller Hamburger Krankenkassen, um „die Kuh vom Eis zu kriegen“. Auch Gesundheitssenatorin Helgrit Fischer-Menzel nahm an dem gestern um 16 Uhr begonnenen Gespräch teil. Im Laufe des Tages hatten sich die Gerüchte um den Rücktritt der SPD-Politikerin verdichtet. Sie hält aber vorerst durch.

Unabhängig davon herrschte gestern nachmittag vor dem Hafenkrankenhaus Volksfeststimmung. Es wurde eine Kaffeetafel für die Bewohner des Stadtteils aufgebaut, etliche hundert Menschen kamen zu der „gemütlichen Runde“ unter freiem Himmel. Sven-Michael Veit, Hamburg