: Die Wiederaneignung des öffentlichen Raums
Ein ungewöhnliches Bündnis aus Linken und Künstlern plant für Juni eine „Innenstadtaktionswoche“. Doch die Aktionen gegen die Privatisierung der Stadt und die Vertreibung von Nichtkäufern aus dem öffentlichen Raum gehen schon jetzt los ■ Von Uwe Rada
Ein Stück Apartheid am Breitscheidplatz“ überschrieb die Antirassistische Initiative die Razzien der Polizei vom vergangenen Herbst. Jenseits des alltäglichen Rassismus, so die Initiative, versuche nun die Polizei Stimmung gegen Schwarze und ImmigrantInnen zu machen. Ziel dabei sei es, „öffentliche und repräsentative Plätze von bestimmten unliebsamen Personengruppen, zu denen auch Obdachlose und andere an den sozialen Rand gedrängte Gruppen zählen, zu säubern“.
Im gleichen Herbst luden Kulturschaffende und Künstler ins Ahornblatt auf der Fischerinsel zum Aktionskongreß „minus 96“. Unter dem Motto „Geld. Stadt. Tausch“ suchte man nach künstlerischen und politischen Interventionsmöglichkeiten, um der zunehmenden „Entmischung“ und der Vertreibung von nicht primär einkaufsorientierten Randgruppen aus den öffentlichen Stadträumen zu begegnen. Die Aktionsvorschläge dieses – bundesweiten – Treffens gingen damals vom „Kotzen in der Zeil“ in Frankfurt am Main bis hin zur „Reterritorialisierung von Büroräumen“ in München.
Wenn nun sowohl linke und autonome Gruppierungen rund um die Antirassistische Initiative als auch zahlreiche Künstlergruppen zu einer gemeinsamen Aktionswoche aufrufen, ist dies nicht nur ungewöhnlich, sondern geht auch weit über das bisherige Lamento über eine „städtischen Umstrukturierung“ hinaus. Ausdrückliches Ziel der Innenstadtaktionswoche, die bundesweit vom 2. bis 8. Juni stattfinden soll, ist nämlich nicht nur die Verteidigung der Kieze gegen Yuppisierung und „Gentrification“, sondern auch die – zumindest temporäre – Wiederaneignung der Innenstädte als öffentlichen und politischen Raum. Statt Kommerzialisierung der Stadt und der Etablierung einer „Kreditkartenöffentlichkeit“ für städtische Räume wollen die Aktivisten das „Zugangsrecht“ aller städtischen Gruppen in Erinnerung rufen und – zumindest eine Woche lang – auch durchsetzen.
In Berlin sind für die Innenstadttage bereits mehrere Aktionen in Planung. Unter dem Kunstbegriff „squatch“ soll etwa ein repräsentativer innerstädtischer Ausstellungsraum zur Verfügung gestellt werden, in dem all jene, die sich schon heute immer wieder städtische Räume aneignen, diesen Prozeß auch dokumentieren können. Angesprochen sind dabei insbesondere Sprayer, Jugendgangs oder Skater.
Das „Freie Fach“, eine Studentengruppe am Fachbereich Architektur der HdK (siehe Bericht unten) will sich während der Innenstadttage im weitesten Sinne dem Thema „Anbau“ widmen. Gefragt sind hierbei allerlei Aktionen, die der Privatisierung der Stadt durch sinnlose Büropaläste wie etwa in der Friedrichstraße durch räumliche oder bauliche Ergänzungen Paroli bieten.
Andere Gruppen planen Aktionen wie etwa ein Massengrillen im Tiergarten oder eine Plakatserie zu „undokumentierten städtischen Arbeitsverhältnissen“, mit der auf den Lebensalltag derer aufmerksam gemacht werden soll, die zum Beispiel Nacht für Nacht jene Büros saubermachen, in denen Tag für Tag die „white collars“ ihren Dienstleistungen nachgehen.
Auftakt zu den diesjährigen Innenstadtaktionen ist aber bereits der 13. Februar. Zeitgleich zur Eröffnung der Berlinale soll gegenüber dem Zoo-Palast ein Event von unten stattfinden. Die unabhängigen Filmemacher von AK- Kraak, selbst Teil des Innenstadtbündnisses, wollen dann ihre Filme über Hausbesetzer, Wagenburgen und den Schönbohmschen Säuberungskurs medienwirksam der Öffentlichkeit vorstellen.
Ab dem 1. April will die Antirassistische Initiative dann ihre Kundgebungen am Breitscheidplatz wieder aufnehmen. Bis zu den Innenstadttagen im Juni soll jeweils Freitag nachmittags auf die verschiedenen Facetten der Vertreibung aus den Innenstädten und das Verschwinden der öffentlichen Räume aufmerksam gemacht werden.
Als „aktionsrelevant“ angesehen wird außerdem eine Ausstellung des Deutschen Architekturzentrums, die voraussichtlich im März unter dem Titel „Renaissance der Bahnhöfe“ in Berlin zu sehen sein wird. Auf der Schau, die bereits während der letztjährigen Architekturbiennale in Venedig zu sehen war, wird unter anderem die Wiederauferstehung der Bahnhöfe für eine „qualifizierte Öffentlichkeit“ gefeiert, die sich der alten Probleme, der Obdachlosen, Junkies und Punks entledigt habe. Weitere Aktionen sind außerdem in Köln, Wien, Zürich und vielen anderen Städten geplant.
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