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"Verhältnismäßige Maßnahmen"

■ Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Internet-Provider EUnet, Rechtsanwalt Michael Schneider, Gründer der Internet Content Task Force, empfiehlt, Sex-Newsgroups zu sperren

taz: Die Kriminalpolizei Dortmund hat vergangenen Freitag den Internet-Provider EUnet durchsucht. Sie glaubt, in einigen Newsgroups Beweise gefunden zu haben, die den Tatverdacht der „Zugänglichmachung von pornographischen Schriften“ erhärten. Dieser Vorwurf ist schon mehrfach gegen andere Onlinedienste und Internet-Provider erhoben worden. Wie ernst sind solche Ermittlungen noch zu nehmen?

Michael Schneider: Rein rechtlich gesehen hat die Staatsanwaltschaft mehrere Möglichkeiten. Sie kann, wie jetzt in Dortmund, einfach nur eine Beweissicherung betreiben, das heißt, Informationen mitnehmen, die zur Durchführung eines Verfahrens geeignet sind. Sie kann aber auch die Ausrüstung beschlagnahmen und sie später sogar einziehen mit dem Argument, daß diese Ausrüstung zur Begehung von Straftaten gedient habe. Dennoch wäre meine Antwort auf Ihre Frage vor einem Dreivierteljahr noch anders ausgefallen als heute. Inzwischen sind die Staatsanwaltschaften und Polizeien etwas besser informiert und in der Lage, die Verhältnismäßigkeit ihrer Maßnahmen zu beurteilen.

Trotzdem haben Sie den Mitgliedsfirmen des Providerverbandes Eco geschrieben; ich zitiere: „Sie haben unverzüglich eine Entscheidung darüber zu treffen, ob Sie prophylaktisch alle Newsgroups, über die pornographische Inhalte verbreitet werden könnten, (insbesondere *.erotica und *.sex) von der Distribution ausnehmen oder sich einem möglichen Strafverfahren stellen.“

Die Internet Content Task Force unseres Verbandes hat in dieser Sache noch keine abschließende Empfehlung ausgesprochen. Als wir von der Beweissicherung der Polizei bei EUnet erfuhren, haben wir lediglich die Mitglieder in einer vertraulichen und unter Zeitdruck geschriebenen E-Mail auf die Gefahr hingeweisen, und ihnen geraten, die strafrechtlichen Konsequenzen in Grenzen zu halten. Es war keine Empfehlung, diese Dinge über einen längeren Zeitraum zu sperren. Daß durch eine Indiskretion diese Mitteilung in dieser Form an die Öffentlichkeit gelangt ist, kann ich nur bedauern.

Provider sind keine Juristen. Sie stellen ihnen ein Strafverfahren in Aussicht, wenn sie bestimmte Newsgroups jetzt nicht sperren.

Nein, das stimmt nicht. Ich habe lediglich geschrieben, daß der Zeitpunkt gekommen ist, um über die eigene Haltung zu Inhalten des Usenet nachzudenken. Insbesondere habe ich geraten, zu überlegen, ob man nicht die Inhalte von Newsgroups, die pornographisch sein könnten, für einen kurzen Zeitraum an die Kunden nicht mehr weiterreicht. Es war ja nicht klar, ob nach EUnet noch weitere Ermittlungen gegen andere Provider kommen.

Wie groß ist denn die Gefahr einer Verurteilung?

Schwer zu sagen. Wenn ich meiner eigenen juristischen Meinung folge, dann kann man einem Provider, der den Zugang zu Newsgroups vermittelt, keinen Strafvorwurf machen. Ich bin damit auf einer Linie mit einer ganzen Reihe von anderen Juristen, die sich mit diesem Thema auseinandergesetzt haben. Anderseits gibt es eine nicht zu unterschätzende juristische Meinung, die genau das Gegenteil behauptet. Sie wird unter anderem von der Bundesanwaltschaft geteilt und besagt, daß Provider, die ihren Kunden den Zugang zu strafrechtswidrigem Material vermitteln, sich sogar der Beihilfe zur Haupttat schuldig machen. Letzlich werden die Richter entscheiden. Ich habe aber gute Gründe zu hoffen, daß sie im Sinne der Provider entscheiden werden.

Welche Rolle spielt dabei die Internet Content Task Force, die Sie mit gegründet haben? Wann immer die Staatsanwaltschaft gegen einen Provider ermittelt, sorgen Sie dafür, daß alle anderen auch davon betroffen sind und Dinge sperren, die ja nur möglicherweise strafbar sind.

Sie sehen das von der falschen Seite her. Die Internet Content Task Force ist nicht gegründet worden, um Dinge zu löschen oder nicht zugänglich zu machen. Sie ist eine Organisation des Selbstschutzes und der freiwilligen Selbstkontrolle. Sie soll die Provider vor rechtlichen Nachteilen bewahren und hat in den letzten Monaten diese Aufgabe relativ gut wahrgenommen. Die von der Internet Content Task Force vertretenen Provider haben wegen der Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen die Online-Ausgabe der radikal vorläufig mit keinen weiteren Konsequenzen zu rechnen. Gegen andere Provider aber sind Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, und diese laufen weiter. Einige Geschäftsführer sind deswegen bereits als Beschuldigte vernommen worden. In anderen, das World Wide Web betreffenden Fällen haben wir den Providern viel Arbeit erspart und in Gesprächen mit Ermittlungsbehörden sehr vernünftige und verhältnismäßige Ergebnisse erzielt. Deswegen sind bei uns manche Dinge gerade nicht gesperrt worden, die bei anderen Providern prophylaktisch gesperrt worden sind. Daß wir aber alle warnen, wenn eine nicht ganz geringe Gefahr besteht, Ermittlungen gegen einen Provider könnten auf alle anderen ausgedehnt werden, das finde ich nach wie vor naheliegend.

Und wer schützt die Meinungsfreiheit? Die Rechtslage ist unklar, die Strafbarkeit von Inhalten im Internet nicht erwiesen.

Ich bin dagegen, immer gleich mit der Meinungsfreiheit zu argumentieren und zu sagen, im Internet muß alles erlaubt sein. Darauf scheint das doch hinauszulaufen. Ich bin nicht der Ansicht, daß man schrankenlos im Internet agieren darf. Das Internet würde damit zu einem rechtsdurchsetzungsfreien Raum, insofern kann ich manche Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft durchaus nachvollziehen. Und ich bin außerdem nicht der Meinung, daß Pornographie irgend etwas mit Meinungsfreiheit zu tun hat – im Fall EUnet ging es ausschließlich um Pornographie, und zwar vor allem um harte Pornographie. Wenn eine Nutzergruppe in Deutschland eine Newsgroup wie alt.binary.pictures .erotica nicht mehr bekäme, wäre das möglicherweise auch kein Schaden. Dort werden fast ausschließlich Sexbilder gepostet. Wir bemühen uns gerade in Zusammenarbeit mit den Providern, Mechanismen für ein möglichst differenziertes Vorgehen zu entwickeln. Selbst solche Dinge sollen nicht für alle Zeiten gesperrt, sondern im Rahmen des rechtlich Möglichen für Erwachsene zugänglich bleiben.

Sind Provider Vormünder?

Man kann hier nicht anders argumentieren als außerhalb des Internet. Niemand käme auf die Idee, einem Verlag zu unterstellen, er mache sich zum Vormund, weil er rechtswidrige Dinge nicht publiziert, die ihm von Autoren angeboten werden. Der Gesetzgeber ist es, der Kinderpornographie und Sodomie verbietet und die Verbreitung anderer Pornographie nur unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Das können Sie Bevormundung nennen, daran haben sich aber auch Provider zu halten. So ist das nun mal. Es wird von der Politik als verhältnismäßig und zumutbar für sie erachtet, gewisse Bedingungen an den Zugang zu solchen Gruppen im Usenet zu knüpfen, die erkennbar nur den Zweck haben, Inhalte dieser Art zu übermitteln.

Wie wollen Sie den Vorwurf des vorauseilenden Gehorsams entkräften, der Ihrer Internet Content Task Force oft gemacht wird?

Er trifft mich gar nicht, außer vielleicht in einem Punkt: Wenn man die laufenden Gesetzgebungsverfahren betrachtet und die vorliegenden Entwürfe mit Verstand liest, dann wird sehr deutlich, daß der Gesetzgeber ein selbständiges Tätigwerden der Branche erwartet. Andernfalls wird er handeln und einen sehr viel strengeren Rahmen definieren. Das ergibt sich insbesondere aus dem neuen Teledienstegesetz.

Wenn wir uns bemühen, verhältnismäßige Maßnahmen zu definieren, um die Übermittlung rechtswidriger Materialien und einen weiteren Mißbrauch des Internet einzudämmen, so mag man das als vorauseilenden Gehorsam betrachten. Ich sehe das dann aber immer noch nicht so. Denn ich bin fest davon überzeugt, daß wir auf diesem Wege für die Benutzer des Internet einen wesentlich größeren Freiraum erhalten werden, als wenn wir es dem Gesetzgeber überlassen, weit strengere Sanktionen anzuordnen. Interview: Niklaus Hablützel

Homepage von Michael Schneider: http://www.anwalt.de

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