: Chemie: Kinder starben
■ Ermittlungen wegen Haiti-Deal gegen Vos, Tochter der Hamburger Helm AG
Amsterdam (taz) – Die Geschichte klingt unglaublich, aber, so die amerikanische „Food and Drugs Administration“ (FDA), sie ist verbürgt. Die im niederländischen Alphen an der Rijn sitzende Firma Vos, Tochter der Hamburger Firma Helm AG, hat eine aus China stammende Chemikalie mit falschen Etiketten versehen und nach Haiti verkauft. Mindestens 60, eventuell 80 Kinder starben auf der Karibikinsel durch diesen Schwindel – weil aus der Chemikalie Afebril ein Paracetamol-Sirup gegen Fieber, Hals- und Kopfweh gebraut wurde.
Produziert wurde das Medikament von der haitianischen Firma Pharval. Die Produzenten hatten aus Europa den Grundstoff bezogen, den sie für reines Glyzerin hielten. Tödlicher Irrtum: Es war statt dessen eine mit einem hochgiftigen Antifrostmittel gestreckte Komponente. Haiti, weil bettelarm, konnte sich eine Untersuchung der Todesfälle nicht leisten und schaltete die FDA ein. Das Rotterdamer NRC Handelsblad kam über den „Freedom of Information Act“, der der Presse in den USA weitreichene Auskünfte garantiert, zu den Recherche-Ergebnissen.
Die deutsche Mutter von Vos, die Helm AG, ist mit einem Jahresumsatz von sechs Milliarden Mark eine der Größten in Chemie, pharmazeutischen Grundstoffen und Medizin in Europa.
Laut Handelsblad verlief der Deal so: Im November 1994 kaufte die in Hamburg ansässige Firma Metall-Chemie bei dem Handelsunternehmen Sinochem in Peking 72 Fässer „Glyzerin“. Metall-Chemie verkaufte die Fässer sofort an Vos, so daß die Chemikalie über Rotterdam ging. Somit ist klar: „Metall-Chemie hat die Fässer nicht importiert“, so sieht es Heinz Kuhlmann, Anwalt von Metall- Chemie. Monate lagerten die Fässer im Rotterdamer Hafen und wurden hier mit den Etiketten „Glyzerine 98 PCT USP“ versehen; am 10. Februar 1995 hatte Vos sie wieder an die Hamburger Firma CTC verkauft – CTC reichte sie an Pharval weiter.
Die Helm AG beziehungsweise die niederländische Tochter Vos müssen sich nun heikle Fragen anhören. Wieso man in Rotterdam nicht den Inhalt der Fässer geprüft habe? Jörn Hinrichs (Helm AG) erklärte dem Handelsblad, daß man ja ein „Analyse-Zertifikat des Lieferanten“ gehabt habe. Allerdings, so die Zeitung, hätten die Zertifikate nicht den Namen des Prüflabors enthalten. Das sei, so Helm-Sprecher Hinrichs, unüblich und unnötig.
Auf Haiti läuft eine gerichtliche Untersuchung gegen Pharval, und Pharval will gegen Helm und Vos in Europa vorgehen. Ein Anwalt aus Miami hat im Namen der Hinterbliebenen gegen den deutschen Pharma-Konzern eine Klage auf Schadenersatz in Höhe von 16 Millionen Dollar gestellt. Pharval hat sich inzwischen mit 40 Eltern außergerichtlich geeinigt – auf 10.000 Dollar pro totes Kind. Falk Madeja
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