„Wir müssen wachsam bleiben“

Die Parlamentsabstimmung über das Wahlsondergesetz könnte für Serbiens Opposition zur Zerreißprobe werden. Drašković will einlenken, die Studenten wollen weiter Druck machen  ■ Aus Belgrad Erich Rathfelder

Vor dem Eingang zur Philosophischen Fakultät ist der Lautsprecherwagen vorgefahren. Und schon strömen die ersten Studenten auf die Straße. Sie halten Händchen und schmusen, lachen und schwatzen, skandieren die Parolen mit einem Enthusiasmus, als wäre dies die erste Demonstration in ihrem Leben. Daß sie nun schon zum einundachtzigsten Mal auf der Straße sind und seit dem 17. November fast jeden Tag der Kälte trotzen, hat ihrer Stimmung nicht geschadet. Wieder sind es 20.000, die sich zum Zug durch die Stadt formieren.

„Das beste ist“, sagt die Sprachenstudentin Ivona, „daß wir die Angst verloren haben.“ Und so sieht sie mit Gelassenheit der Entscheidung im Parlament entgegen, die für heute angekündigt ist. Wenn das Gesetzespaket, das die Wahlergebnisse vom 17. November bestätigen und den Empfehlungen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) folgen soll, den Forderungen der Studenten nicht entspricht, wird weiterdemonstriert.

Das sagt auch Cedomir Jovanović. Der gutaussehende junge Mann, der überall Hände schüttelt, ist in den letzten Monaten zum unbestrittenen Studentenführer gewachsen. Er gilt als unbestechlicher Sprecher, der die Standpunkte der Studenten gegenüber allen Autoritäten zu verteidigen weiß. „Wenn der Rektor Dragutin Velicković nicht zurücktritt und die Wahlergebnisse nicht in allen Punkten anerkannt werden, lassen wir von unseren Protesten nicht ab.“ Dazu gehöre auch, daß in Zukunft die Universität selbst über den Rektor entscheiden müsse und nicht das Kultusministerium.

Das sind klare Worte. Und nicht nur so dahergesagt. Denn die Studenten bestehen auf demokratischen Reformen. Der Staat soll sich aus der Universität zurückziehen. Jetzt nachzugeben, sehen sie als Fehler an. Mit Argwohn wird deshalb auf die Führung der Oppositionsbewegung Zajedno geschielt. Während sich der Demonstrationszug in Bewegung setzt und die Menschen aus den Fenstern der Wohnhäuser winken, machen Gerüchte über eine angebliche Verhandlungsbereitschaft der Führung um Vuk Drašković, Vesna Pesić und Zoran Djindjić die Runde. „Wir Studenten haben unabhängig demonstriert und werden unsere Entscheidung autonom treffen“, sagt Ivona. Alle nicken bestätigend.

Doch auch auf der täglichen Demonstration von Zajedno werden klare Worte ausgesprochen. Zoran Djindjić warnt eindringlich davor, nach der Entscheidung im Parlament die Hände in den Schoß zu legen. „Wir müssen weiter wachsam sein, wir bekommen nur, was uns ohnehin zusteht!“ ruft er in die jubelnde Menge. „Wenn wir mit dem Druck nachlassen, wird Milošević versuchen, seine Versprechungen wieder nach und nach zurückzunehmen“, bestätigt eine ältere Dame, die flink mit einer Trillerpfeife hantiert und nach jedem Satz des Oppositionsführers zu dem ohrenbetäubenden Lärm auf dem Terazije-Platz beiträgt. Und Milan, ein ehemaliger Ingenieur, der sich als Taxifahrer durchs Leben schlägt, ist wie die Umstehenden bereit, weiterzumachen. „Wir geben nicht auf, bis hier endlich ein Wandel eingetreten ist.“

Zoran Djindjić warnt die Demonstranten vor dem Plan von Milošević, die Gemeinden finanziell auszutrocknen. Würde das Steueraufkommen zuerst voll an den Staat fließen und dann an die Gemeinden gegeben werden, hätte Milošević alle Möglichkeiten, die Städte, in denen die Opposition die Mehrheit hat, zu bestrafen. „Wir müssen weiter wachsam bleiben, weiter demonstrieren, bis alle Bedingungen erfüllt sind, bis wir eine echte Demokratie erreicht haben“, wiederholt er. Und auch Vesna Pesić schlägt harte Töne an. Milošević wolle Teile des Staatsbesitzes an ausländische Kapitalgeber verschleudern. „Er verkauft Serbien an die Mafia“, ruft sie unter dem Jubel der Menge.

In der Zentrale der Serbischen Erneuerungsbewgung von Vuk Drašković sind die Töne etwas gedämpfter als auf der Demonstration. „Man muß wissen, wann man eine neue Phase einleiten kann.“ Professor Milan Bozić ist Berater von Vuk Drašković, Präsident des Politischen Ausschusses der Partei und Mitglied des Parlamentes von Jugoslawien. Wenn Milošević die OSZE-Bedingungen durch das Parlament erfüllen läßt, „dann sind wir bereit, uns mit der Regierung und allen anderen Parteien an einen Runden Tisch zu setzen und Verhandlungen aufzunehmen“, sagt er. Die Demokratisierung sei nicht auf einen Schlag zu erreichen. „Wir werden über die Pressefreiheit und die Prozeduren für die Wahlen zum serbischen Parlament und der Präsidentschaft verhandeln, die bis zum November stattfinden müssen, nicht jedoch über die gesamte Verfassung.“ Sollte es hier zu keiner Einigung kommen, könnten die Demonstrationen wiederaufgenommen werden.

Hinter den Kulissen gibt es also einen Riß in der Oppositionsbewegung? Professor Bozić lacht. „Das ist nichts Ernstes. Zoran Djindjić ist politisch ein Neuling, wir haben einfach eine längere Erfahrung in diesen Dingen.“

In der Zentrale der Demokratischen Partei schmunzelt man über solche Äußerungen. Das Mitglied des Exekutivkomitees, Zoran Novaković, verweist auf das Wachstum der Demokratischen Partei, täglich stellten allein in Belgrad 20 Leute den Antrag auf Aufnahme. „Zoran Djindjić wird im In- und Ausland mehr und mehr als Kopf der Opposition akzeptiert, gerade weil er geradlinig Serbien in die Demokratie führen will.“ Doch auch er schließt die Beendigung der Demonstrationen nicht aus, wenn die Bedingungen tatsächlich erfüllt würden. „Wir können jedoch nicht an einem Tisch sitzen mit Leuten wie Radmila Milentijević, die jetzt als Informationsministerin vorgeschlagen ist.“ Die Frau aus Knin, eine radikale Ideologin und Anhängerin von Milošević, habe viel Unheil angerichtet. Mit ihr seien Schritte zur Entwicklung der Pressefreiheit wohl nicht zu machen. „Wir müssen weiter wachsam bleiben.“