piwik no script img

Altkatholisch heißt anders katholisch

Sie weihen Frauen zu Priesterinnen und erlauben ihrem Klerus die Ehe. Sie sind kritische Katholiken, und sie sind nicht besonders viele. Zwei Priesterinnen und ihre Gemeinden in Andernach und Bonn  ■ Von Daniela Weingärtner

Sonntag abend in Andernach. Ein paar helle Fenster, ein paar Leute auf der Straße. Die Schloßruine liegt dunkel, unbewohnt. Durch den gemauerten Torbogen schlendern Menschen und verschwinden im Schwarz. Eine Funzel über der Tür zum Schloßturm kämpft gegen die feuchte Dunkelheit, die vom Park herandrängt. Hier muß es sein.

Der Gebetsraum neben der Turmstiege ist winzig. 20 Stühle stehen vor dem Altar aus Fichtenholz – sie sind nicht alle besetzt. Ein schmuckloses Kreuzgewölbe, ockergelb gestrichen, ein stilisiertes Christusbild, das an einfache Ikonen erinnert – Ahnungen von Urkirche steigen auf.

Als die Priesterin den Raum betritt, erheben sich alle. Hinkend geht die dunkelhaarige Frau im beigen Leinen-Ornat nach vorn. Sie ist kaum größer als eine Fünfzehnjährige. Wer die 48jährige Regina Pickel-Bossau an ihrem abendlichen Arbeitsplatz erlebt, der mag die Vorgeschichte kaum glauben: Als kleines Mädchen erkrankte sie so schwer an Kinderlähmung, daß ihr die Ärzte keine Chance gaben. Erst war sie ganz gelähmt, dann schleppte sie sich jahrelang an zwei Krücken.

Ein behindertes Mädchen im Kleinstadt-Klima der 60er Jahre. „In einem verkrüppelten Körper kann nur ein verkrüppelter Geist leben“, hat ein Lehrer damals zu ihr gesagt. „Ich wollte raus, tanzen, Jungen kennenlernen – aber ich sollte zu Hause sitzen und beten.“ Dann kann ich auch gleich ins Kloster gehen, sagte sich die 17jährige Regina. Aber mehrere Orden winkten ab. Sie wollten nur „unversehrte“ Bräute Christi für ihre Gemeinschaft.

Nach dieser demütigenden Zurückweisung begann sich die junge Frau für Menschen zu interessieren, die ein ähnliches Schicksal hatten, und wurde Sonderschullehrerin. Sie arbeitete eine Weile in ihrem Beruf und studierte dann, Theologie. Pfingsten 1996 machte sie Schlagzeilen: Zum ersten Mal wurden in Deutschland zwei altkatholische Priesterinnen geweiht. Für Regina Pickel-Bossau wuchs aus der zynischen Zurückweisung römisch-katholischer Würdenträger ein Happy-End.

Etwa 20.000 Menschen bekennen sich in Deutschland zur altkatholischen Gemeinschaft. Viele ehemalige „Römer“, wie sie von den Altkatholischen genannt werden, sind darunter. Oft sind es gerade die engagierten Gemeindemitglieder, die sich an den starren Vorschriften der Amtskirche stoßen.

Harpe zum Beispiel, der junge Mann mit Ring im Ohr, der vor dem Gottesdienst am Eingang stand und die Gesangbücher bereithielt, war früher Obermeßdiener in einer großen Andernacher Gemeinde. „Eines Tages ist mir klargeworden: Die engagierten Christen bleiben alle weg. Diese Kirche hat ihnen nichts mehr zu sagen.“ Als Harpe seinem Pfarrer erzählte, daß er zu den Altkatholiken wechseln wolle, bekam er die Arroganz der etablierten Amtskirche zu spüren. Er sollte eine Formular unterschreiben, in dem er den Austritt aus der katholischen Kirche erklärt hätte. Er weigerte sich. Denn nach altkatholischem Verständnis gehören die Mitglieder ihrer Gemeinden zur katholischen Amtskirche.

Das sieht auch der Staat so. Beim Steueramt reicht eine formlose Erklärung. Dann wird aus „rk“ ein „ak“ gemacht und die Kirchensteuer wie bisher mit der Lohnsteuer eingezogen und an die altkatholische Kirche weitergeleitet. Viel kommt bei 20.000 Steuerzahlern nicht zusammen. Deshalb verdienen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen weniger als ihre römischen Amtskollegen. Ohne Spenden und ehrenamtliche Arbeit wären die Gemeinden nicht lebensfähig.

Die Priesterin zeigt ihr Predigt- Gewand. Ein selbstgenähtes Weihegeschenk aus der Gemeinde. Auch für kranke Gemeindemitglieder fühlen sich alle gemeinsam zuständig. Am Ende des Gottesdienstes berichtet Regina Pickel- Bossau, wie es Ilse geht. Die alte Frau hat sich gewünscht, in den letzten Lebenstagen nicht mehr allein zu sein. Eine Wache wird organisiert – reihum und rund um die Uhr.

Der Sonderweg der Altkatholiken begann vor 125 Jahren, nach dem 1. Vatikanischen Konzil. Damals hatte der Papst Einfluß und Ländereien an den italienischen Staat verloren und versuchte im Gegenzug, seine Stellung innerhalb der Kirche auszubauen. Er ließ sich auf dem Konzil Unfehlbarkeit in Glaubensfragen und oberste, alleinige Rechtsgewalt in der Kirche bescheinigen.

Kritische katholische Gelehrte reagierten empört auf die Ergebnisse des Konzils. Unter der Führung des Münchner Theologieprofessors Ignaz von Döllinger organisierte die kirchliche Opposition mehrere Gegenkongresse. 1873 wurde der erste altkatholische Bischof von einer Wahlversammlung gewählt und von einem holländischen Bischof geweiht.

Diese Weihe mußte Rom aus formalen Gründen akzeptieren. Das hat letztlich dazu geführt, daß es heute in Deutschland verheiratete Priester und Priesterinnen gibt, die vom apostolischen Stuhl anerkannt werden müssen.

In der Praxis hängt es von der jeweiligen Ortskirche ab, ob freundliche Gelassenheit oder wütende Abgrenzung das Verhältnis zwischen Altkatholischen und Römern bestimmt. Als im März 1995 in Bonn ein neuer altkatholischer Bischof gewählt wurde, war zum ersten Mal auch ein römischer Weihbischof unter den Gästen. In Andernach, knapp 50 Kilometer rheinaufwärts, wäre solch eine Höflichkeitsgeste undenkbar. Hier meiden die Römer noch heute die Altkatholiken wie der Teufel das Weihwasser.

Zurückweisung, Demütigung, verächtliche Ablehnung eines Menschen, der in den Augen der römisch-katholischen Kirche nicht mehr „unversehrt“ ist – wer sich nach dem Gottesdienst im Dachzimmer des Andernacher Schloßturms mit der Gemeinde zusammensetzt, der bekommt Geschichten zu hören, die der vom behinderten Mädchen, das Nonne werden wollte, sehr ähnlich sind.

Geschichten von Scheidung und Wiederheirat zum Beispiel – ohne Hoffnung auf römischen Segen. Regina Pickel-Bossau kann gescheiterte Ehen scheiden und der neuen Ehe ihren Segen geben. „Wo psychisch-physisch alles tot ist, da muß man nicht auf den physischen Tod warten.“ Sie konnte auch dem Andernacher Arzt und gläubigen Moslem helfen, dessen letzter Wunsch es war, im Anzug bestattet zu werden. Das widerspricht islamischen Vorschriften. Deshalb nahmen ihn die Moslems nicht, die Evangelischen wollten ihn nicht und die Römer erst recht nicht. Nur die altkatholische Priesterin sieht kein Problem: „Ich bring den unter die Erde und geb' den oben ab. Dann soll der oben entscheiden, was er damit macht.“

Fast alle haben ihre alte Gemeinde als stur und engstirnig erlebt. Die Witwe, die zu den Altkatholischen wechselte und den Schlüssel fürs Friedhofstörchen zurückgeben mußte, weil sie auf römisch-katholischem Boden nicht länger erwünscht war. Die Grundschullehrerin, die aufgefordert wurde, ihre katholische Lehrbefugnis zurückzuschicken. Heute unterrichtet sie Ethik und hat den Großteil ihrer Religionsschüler mitgenommen. Drei bereiten sich gerade auf die altkatholische Firmung vor.

Auch im Döllinger-Haus in Bonn sitzen am Mittwoch abend nach dem Studenten-Gottesdienst ehemalige Römer mit ihrer Priesterin Angela Berlis zusammen. Aber hier sind die Geschichten, wie alles gekommen ist, von Verbitterung frei. Bonn ist altkatholischer Bischofssitz und eine offene Studentenstadt dazu – die Mischung aus altkatholischem Selbstbewußtsein und Toleranz der Umgebung läßt Märtyrergefühle nicht aufkommen.

Die Kapelle ist im Keller des Studentenwohnheims eingerichtet. Ein Kieferntisch im Ikea-Stil dient als Altar. Reihen von Teelichtern malen flackernde Kurven und Kreise auf den roten Steinfußboden. „Gott unser Vater und unsere Mutter“, leitet die Priesterin die Predigt ein. Sechs Studenten, drei Männer und drei Frauen, sind heute abend gekommen. Es wird ein Gottesdienst wie ein Kirchentag im Kleinformat: Mit viel Sacro- Pop zu Gitarrenbegleitung, mit langen Meditationspausen, mit einem Krug Wassesr, damit jeder seinen Nachbarn symbolisch waschen kann.

Auch Angela Berlis ist in einem römisch-katholischen Elternhaus aufgewachsen. Aber sie hat den Wechsel schon mit 17 Jahren vollzogen und dann in Holland studiert. Dort hat sie eine selbstbewußte altkatholische Kirche erlebt, „ohne antirömischen Effekt, mit hochkirchlichem Ritual – das hat mir sehr gut getan“. Ihr Bedürfnis nach „inklusiver Sprache, nach der weiblichen Dimension Gottes, nach flacher Organisation und wenig Bürokratie“ wird in dieser Gemeinschaft erfüllt.

Ihren Studenten geht es genauso. Priesterseminaristen sind darunter, die mit dem Zölibat nicht zurechtkamen. Atheisten, die sich auf dem Weg über den „Bischof zum Anfassen, den Priester zum Anfassen“ langsam der Kirche wieder nähern. Sie stellen die römischen Strukturen in Frage, fordern „mehr Eigenleben einer Ortskirche, Seelsorge an wiederverheirateten Paaren, Priesterweihe von Verheirateten“. Ein Katalog, der wie ein Ausschnitt aus dem Kirchenvolksbegehren klingt. Und die Frage drängt sich auf: Warum tun so wenige Römer diesen Schritt, wo es doch so viele Unzufriedene in der römisch-katholischen Kirche gibt?

Die Studenten lächeln. Und erzählen, wie schwierig der Schritt für sie selber war: Zunächst muß man wissen, daß es die Altkatholiken überhaupt gibt. Daß sie keine Sekte sind, daß man aber weite Wege in Kauf nehmen muß, um einen Gottesdienst zu besuchen. Dann muß man seiner alten Gemeinde den Rücken kehren, die Hoffnung aufgeben, innerhalb der vertrauten Kirche Reformen durchzusetzen. Das ist vielleicht das schwerste.

Aber nicht in Bonn. Da haben die Altkatholiken eine richtige große Kirche, mitten in der Stadt. Und einen Gottesdienst wie alle anderen, vormittags um zehn. Da wird dann an einem ganz normalen Sonntag vom Priester zum Anfassen Nele Minner-Kinkel getauft. Und in der letzten Reihe steht der Bundesaußenminister und strahlt, ganz privat. Die Schwiegertochter hatte von einem Studienfreund erfahren, daß die Altkatholiken so eindringliche Gottesdienste feiern, „ein Geheimtip“, sagt sie. Was der „Römer“ Kinkel von Sacro-Pop hält und wie er zur mütterlichen Gottheit steht, ist nicht bekannt. Seine Enkelin Nele war aber angetan: Sie durfte im Weihwasserbecken planschen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen