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Die Gedärme des Fossils

Von der Hoffnungsburg zur Hochburg: Sieben Jahre Bewußtseinserweiterung in Sachen Immobilienkunst – eine kleine Polemik zum Jubiläum des Tacheles, Berlins bekanntester Ruine  ■ Von Thomas Martin

Der Ort ist im allgemeinen historisch für jeden und für wenige privat. Die Differenz macht den Geschichtsbegriff des einzelnen aus, sie trennt die Welt in Museumsbesucher und Schaustücke; wer die Kordel um die Requisiten zieht, wer die Vitrine darüberstülpt, muß gottähnlich sein.

Ein Tropfen, ein Plätschern, ein Schlurfen, ein Wispern in schattigem Gelände, metallische Klänge ringsum: Tachelestachelestachelestacheles! So stellt sich die Legende selber dar auf CD-ROM. Alle Wege führen nach Rom, die der Etablierten zumeist. Der Stachel im kulturellen Hauptstadtfleisch, von Markt und Medien eingespeichelt, ist eßbar geworden.

Aus der Hoffnungsburg mit dem „basisdemokratischen Königsprinzip“ seiner Erfinder, Besetzer, die sich mit Besetzern in Sieger und Besiegte spalten, eine Hochburg des Tourismus, Produkt der eigenen Verwaltung, die sich von der Direktion der Immobilie Hackesche Höfe&Co. vor allem dadurch unterscheidet, daß sie näher an der Friedrichstraße sitzt, näher am nächsten McDonald's gelegen ist.

Die Metamorphose vom Ort einer Hoffnung zum Brückenkopf des Zentrums in der Spandauer Vorstadt ist ein Rückwärtsweg, Restauration im Sinn des Grundgesetzes und auf zeitgenössische Art Re-Installation des dekadenten Lebensgefühls der „goldenen Zwanziger“ in unseren Neunzigern, Fin de siècle ohne Quatsch.

Sieben Jahre Besetzergeburtstag, der kaum einen der Ureinwohner am Ort trifft, haben im Zeitraffer Jahrzehnte gespiegelt – vom architektonischen Wunderwerk in Stahlbeton zur Warenhaus-Kathedrale bedrängter Einzelhändler zum Haus der deutschen Elektroindustrie zur Parteizentrale der Nazideutschen Arbeitsfront zum Arbeitslager für französische Kriegsgefangene zur Weltkriegsruine zum ungenutzten Eigentum einer unnützen Gewerkschaft zur Nische ostdeutscher Cineasten zum Baulager für die Varietéhölle nebenan zum Leerstand zum Abriß zum Leerstand zur Hoffnungsburg zum Unfall- und Überfallort zum eingetragenen Verein zum Paradies der ABM- Kultur zur Kulturkathedrale im kommenden Dienstleistungszentrum immer noch in Stahlbeton.

War der Handvoll Erstbesetzer drei Monate nach dem Mauerfall kaum bewußt, daß sie sich aufs Filetstück setzten, das Spekulanten anzieht wie Scheiße die Fliegen, haben sieben Jahre Immobiliendasein das Bewußtsein gründlich erweitert, gespalten, in jeder Hinsicht verändert. Noch existieren Teilnehmer der großen Inbesitznahme im Inneren des Walfisches, doch hat sich das ursprünglich paritätisch halbe-halbe angelegte Verhältnis westwärts beziehungsweise international verschoben, der Ostberliner Anteil tendiert gegen Null. Überflüssige Feststellung: In solchen Kategorien denkt heute niemand mehr, nicht nur im TACHELES nach eigener Aussage, sondern bundesweit. Bundweite, eine Kategorie, die das Nahrungsverwertungsverhältnis meint.

Schwer verdaulich hat sich die Immobilie an der Spree als solche halten können gegen Verkaufs- und Vermarktungsstrategien der Kunden, schwedische Makler, jüdische Makler, saudische Makler, und unterliegt jetzt den Maklern der Oberfinanzdirektion in Bonn am Rhein. Aus Köln am Rhein kommt die FUNDUS-Gruppe mit Scheckheft und Baggern, ein Bürohausproduzent, der aus der Kunstruine vermutlich die Investruine machen wird, wenn sein Dienstleistungszentrum in der Oranienburger rings ums TACHELES steht. Soweit zum Nachruf aufs Äußere.

Die TACHELES-Idee, die ohne Kulturkaufhaus und Schrebergarten auskam, hat sich 1987 in Ost-Berlin materialisiert, als Geburt der Idee aus dem Geist der Avantgardemusik, eng verbunden mit der „Rentnerband“ FREYGANG, als eher zufällig entstandener Versuch einer Künstlerorganisation, die sich unabhängig von Staat und Ideologie äußern wollte, unter Berücksichtigung der Individualität sensibler Künstlerseelen. Daß solch ein Versuch scheitern muß, ist vielleicht die letzte Hoffnung, an der noch Kunst zu orten ist. Wer hoffend stirbt, stirbt lachend – was gibt's zu lachen am Tacheles 1997?

Einer der ersten, Leo Condeyne (keyboard, piano), hat unter dem resignativen Titel „Nie wieder Krieg!“ im Organ des Pleitejahres 96, des SKLAVEN, eine Notiz zum Ursprung der Bewegung, die heut am Ort ein Stillstand ist, hinterlassen: „Es kam zu Auseinandersetzungen, aus denen nichts Produktives entstand, sondern nur ein blöder, dummer Machtkampf geworden ist. Du kannst dir ja höchstens beweisen, wie gut du Machtkampf führen kannst, bis ein anderer kommt, der besser ist, und dann kippst du wieder um. Das hat nichts mit der TACHELES-Idee zu tun. Die TACHELES-Idee war das familiäre Prinzip, die Liebe.“

Geburt des Yuppies aus dem Haight-Ashbury-Darwinismus – wer Macht ausübt mit ökonomischen Mitteln, stellt die Kunst in Frage zugunsten der Makler. Silka Teichert, Erstbesetzerin und Malerin mit ehemaligem Ruinenatelier, benennt es knapp: „Die Westler haben uns das administrative Problem abgenommen, mit dem wir nicht umgehen konnten und wollten. Dann kam der Verein, dann die Verhandlungen und die Machtfrage. Für mich heißt Machen Malen, und so bin ich gegangen.“

So ist die fröhliche Ruine mit Gartenhaus zum bunten Hinterhof des Friedrichstadtpalastes geworden, die offene Kulturpassage zur freudlosen Touristengasse, der Dreckhaufen zur Zuchtperle, Subkultur zur Kultursuppe, der Walfisch zum verdorbenen Fossil, die hochgegriffene Idee des „internationalen Kulturaustausches und der Völkerverständigung“ zur intoleranten kleinkarierten Cliquenwirtschaft, zum Gegenteil der Idee, exemplarisch für die vielen utopisch formulierten Ideen des Jahrhunderts.

Nächstes Etappenziel auf dem Weg zum Kulturinstitut ist die Gründung: Stiftung oder Genossenschaft, wobei das „oder“ dazwischen die Formfrage ist; entscheidender ist Condeynes Gegenvorschlag, Abstellung der Glücksmaschine und Umzug in entlegene Sektoren, beispielsweise Friedrichshain, wo sich die Künstler auf sich selbst und ihre Kunst besinnen könnten, ohne das Bodycounting der Reisebüros. Seit gestern überstimmt.

Jetzt läuft der Kulturbetrieb, eine Art verdünnter Love Parade das Jahr über, die sich durch die Därme des Hoffnungswals wühlt. Da ist im Erdgeschoß die Kunstgewerbeschrottschmiede anzusehen wie venezianische Glasbläser oder die Spitzenklöppler Buranos, da kann man, seltener und zunehmend etabliert, im ersten Stock Theater, Tanz und Tanztheater sehen, polierte Krachmusik hören, im zweiten Stock ins Programmkino gehn, das an die Ost- KAMERA knüpft, und im dritten Stock noch mal Kunstgewerbe, gemaltes, betrachten.

Draußen ist die Vorhölle los, wenn sich nächtlich westdeutsche Provinz übers Grundstück KÖNIGSTADT 5369 bewegt, berauscht von Kult & Kultur, atemlos pendelnd in Richtung Hackesche Höfe und wieder zurück, denn in der Mitte wartet, sozusagen als fleischlich verkörperte Verbindung, in Stiefeln, Gummihosen, Perücke, die prostitutive Fraktion, die sich selbst zur Kunst erklärt hat und vor allem zum Gewerbe, das dem Wortsinn TACHELES mehr Ehre macht als der Kulturtempel gleichen Namens.

Um die Lücke zu schließen – noch steht der Arbeitsschutz davor –, laufen Verhandlungen um die „Kunstnutte“ heiß, in den Schrott der TACHELES- Schmiede gekleidet, die mit Erschwernis- und mit Kunstzulage auf Schicht geht und den Verdienst prozentual mit ihren Metallurgen teilt.

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