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Im Namen der Mutter

Eiserne Lady, katholische Witwen: Mit „Mütter und Söhne“ hat Terry George den Hungerstreik der IRA vor 16 Jahren verfilmt. Infotainmentkino, in dem Bobby Sands allerdings zum Märtyrer wird: „Du siehst ja aus wie Jesus Christus!“  ■ Von Ralf Sotscheck

Terry George hatte seinen Film „Mutter und Söhne“ noch gar nicht fertiggedreht, da erhoben englische Boulevardkritiker bereits schwere Vorwürfe: George leiste dem Terrorismus Vorschub. Solange die IRA keinen Waffenstillstand erklärt habe, hätte ein Film über den irischen Hungerstreik vor 16 Jahren nichts auf der Leinwand zu suchen.

Der Vorwurf, George drehe einen IRA-Propagandafilm, hängt mit der Vergangenheit des Regisseurs zusammen: Er wurde mit 19 interniert, dann saß er drei Jahre im Gefangenenlager Long Kesh wegen Waffenbesitzes. Durch seine Freundschaft mit Ronnie Bunting und Miriam Daly, die beide später von loyalistischen Todesschwadronen ermordet wurden, kam er zur Irisch- Republikanischen Sozialistischen Partei (IRSP). „Miriams Tod war besonders tragisch“, sagt George. „Ihre beiden Kinder waren ins Zimmer gekommen und rannten davon. Dann trugen die Bullen die Leiche hinaus. Aber ihr Blut, ihr Hirn und ein paar Patronenhülsen waren noch da. Eine richtige forensische Untersuchung hat es nie gegeben.“

Als der IRA-Gefangene Bobby Sands am 5. Mai 1981 nach 66tägigem Hungerstreik in einem Militärkrankenhaus in Belfast starb, hatte George die IRSP längst wieder verlassen. Der Hungerstreik stand am Ende einer jahrelangen erfolglosen Kampagne gegen die britische Kriminalisierungspolitik. Seit die britische Regierung am 1. März 1976 den politischen Status für die Gefangenen der IRA und INLA (Irische Nationale Befreiungsarmee) – den bewaffneten Arm der IRSP – abgeschafft hatte, saßen die Gefangenen nur mit einer Decke bekleidet in ihren Zellen, weil sie die Gefängnisuniform ablehnten. 1978 begann darüber hinaus ein „Dreckstreik“: Die Gefangenen wuschen und rasierten sich nicht mehr und weigerten sich, ihre Toilettenkübel auszuleeren. Statt dessen schmierten sie die Exkremente an die Wände und gossen den Urin unter den Zellentüren hindurch.

Viele Gefangene standen im Herbst 1980 vor dem physischen und psychischen Zusammenbruch. Ein erster Hungerstreik wurde im Dezember abgebrochen, als die britische Regierung scheinbar zum Einlenken bereit war. Doch die versprochenen Maßnahmen zur Verbesserung der Haftbedingungen verschwanden wieder in der Schublade. Deshalb entschlossen sich die Gefangenen zu einem zweiten Hungerstreik, der am 1. März 1981 begann. Um den Druck auf die britische Regierung langsam zu steigern, trat zunächst nur Bobby Sands in den Hungerstreik. In bestimmten Zeitabständen sollten sich weitere Gefangene anschließen. Bei einer Nachwahl für das britische Unterhaus wurde Bobby Sands am 40. Tag seines Hungerstreiks zum Westminster- Abgeordneten gewählt. Zwei weitere IRA-Gefangene, von denen sich einer im Hungerstreik befand, wurden in das Dubliner Parlament gewählt. Premierministerin Margaret Thatcher blieb unnachgiebig.

Bobby Sands' Beerdigung wurde zu einer massiven Demonstration: Über 100.000 Menschen begleiteten den Sarg zum Friedhof in West-Belfast. Nachdem neun weitere Hungerstreikende gestorben waren, wurde die Aktion nach 217 Tagen am 3. Oktober 1981 abgebrochen: Die Eltern Pat McKeowns, der bereits im Koma lag, willigten in die Zwangsernährung ein. McKeown starb vor einem Vierteljahr an den Spätfolgen des Hungerstreiks. Da Thatcher ihren Ruf als Eiserne Lady gewahrt hatte, zeigte sie sich nun konzessionsbereit. Die Forderungen der Gefangenen wurden erfüllt. Lediglich in der Frage der Zwangsarbeit blieb London hart.

Im Mittelpunkt des Films stehen die Mütter von zwei Streikenden. Die eine, Kathleen Quigley (Helen Mirren), ist eine verwitwete Lehrerin aus der katholischen Mittelschicht, die durch die Verhaftung ihres Sohnes zum erstenmal mit der politischen Situation in Nordirland direkt konfrontiert ist. Die andere, Annie Higgins (Fionnuala Flanagan), ist ebenfalls verwitwet, hat aber deutliche Sympathien für die IRA.

Terry George entwickelt anfangs sehr sensibel die Beziehung zwischen beiden Müttern – von der Verständnislosigkeit bis hin zur Annäherung und gemeinsamen Flugblattaktion. Vor allem wird der Gewissenskonflikt der Mütter deutlich, die mit einer Unterschrift die Zwangsernährung verfügen und das Leben ihrer Söhne gegen deren Willen retten können. Die beiden Mütter entscheiden sich unterschiedlich, und dadurch ist zum Schluß die alte Distanz zwischen ihnen wiederhergestellt.

Es ist keine dokumentarische Geschichte, die beiden Hungerstreikenden sind eine Mischung aus verschiedenen Personen. Die aufgeladene Atmosphäre in Belfast und Derry in jenem halben Jahr ist allerdings authentisch. Ich habe damals in Belfast mit zwei Kollegen einen kleinen Dokumentarfilm über den Hungerstreik gemacht. In den katholischen Ghettos drehte sich alles um die Ereignisse in Long Kesh, man schwankte zwischen Bangen und Hoffen. Täglich gab es Demonstrationen und Mahnwachen, und sobald ein Hungerstreikender starb, klapperten die Frauen mit den Mülltonnendeckeln auf der Straße, um die Nachricht zu verbreiten. Im Nu kamen Tausende Menschen aus ihren Häusern und bewarfen die britischen Armeepatrouillen mit Steinen und Brandbomben. Die Soldaten antworteten mit Plastikgeschossen. Der Hungerstreik hat den Verlauf des nordirischen Konflikts erheblich beeinflußt, der derzeitige „Friedensprozeß“ ist ohne Kenntnis der damaligen Geschehnisse kaum zu verstehen.

Jim Sheridan („Im Namen des Vaters“) konnte man vorwerfen, daß er in seinem Film die Realität zugunsten des Entertainments verändert hatte – eine Vorgehensweise, die ich allerdings für legitim halte.

Terry George kann man diesen Vorwurf nicht machen. „Glaubt mir“, sagt George, „es gibt in meinem Film keine einzige Szene, die sich nicht auf ein tatsächliches Ereignis bezieht.“ Sicher, der britische Chefstratege Farnsworth und seine Beamten sind bei George kaltblütige Technokraten, doch er sagt: „Ich glaube nicht, daß sie allzuweit von den Yuppie-Typen entfernt sind, die von Thatcher rekrutiert und nach Nordirland geschickt wurden.“

Auf der anderen Seite, und das hat mich irritiert, ist Bobby Sands wie Christus dargestellt – ein Image übrigens, das auch in vielen Belfaster Wandgemälden eingesetzt wurde. Sands' Zellengenosse sagt es im Film denn auch: „Du siehst ja aus wie Jesus Christus.“ George räumt ein, daß dieser Satz aus der „Holzhammerschule des Filmemachens“ stammen könnte, verteidigt sich jedoch: „Ich wollte der Dämonisierung der Hungerstreikenden in den Medien entgegenwirken.“ Die katholische Kirche, die während des Hungerstreiks eine erbärmliche Rolle gespielt hat, kommt in dem Film ebenfalls nicht gut weg.

Was mich außerdem etwas gestört hat, ist die fast chronologische Erzählweise in der zweiten Hälfte des Films. Die Entwicklung der Personen, die Veränderung der Beziehungen und die Konflikte zwischen ihnen kommen hier ein wenig zu kurz, die Handlung orientiert sich zu stark an den Ereignissen. Aber dennoch: George stellt einen wichtigen Abschnitt der irischen Geschichte unterhaltsam dar und erreicht dadurch ein viel breiteres Publikum als ein noch so gut gemachter Dokumentarfilm.

Und die Filmmusik ist schon allein das Eintrittsgeld wert. Bill Whelan, der das Riverdance-Spektakel angerichtet und Irland in eine Flußtanz-Welle gestürzt hat, ist der Komponist, bei den InterpretInnen ragen die Sängerin Eleanor McEvoy und Dudelsackspieler Declan Masterson heraus. Man hat Terry George heftig dafür kritisiert, daß er den IRA-Angriff auf britische Soldaten mit einem Raketenwerfer im Rhythmus der Musik inszeniert hat. „Ich wollte lediglich zeigen, daß die irische Musik so oft auf diese pseudopatriotische Art mißbraucht wird“, sagt er, aber das glaubt man ihm dann doch nicht.

„Mütter und Söhne“. Regie: Terry George. Mit: Helen Mirren, Fionnula Flanagan, Aidan Gillen u.a. GB 1996, 114 Min.

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