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Barrikaden auf Spaniens Fernstraßen

Nach neun Tagen Lkw-Streik sind überall in Spanien Engpässe zu spüren. Ein Ende des Streiks ist nicht in Sicht. Die Gewerkschaft droht mit Ausweitung, die Regierung mit der Polizei  ■ Aus Madrid Reiner Wandler

„Bitte kaufen sie mir Tempo- Taschentücher ab!“ ruft der hagere Mann in den überfüllten U-Bahn-Waggon. „Ich verkaufe normalerweise die Obdachlosenzeitung, aber der Lkw-Streik hat uns ohne Nachschub gelassen“, entschuldigt er sich. Ein Ausweis am Revers bekräftigt seine Aussage, die Passagiere haben ein Einsehen. Nach neun Tagen Lkw- Streik sind die Engpässe überall spürbar. Dabei wurden die Fernfahrer der Atlantikregion Kantabrien nur belächelt, als sie Anfang des Monats ganz allein in den Streik zogen. Doch die Forderungen der hauptsächlich im Norden des Landes verankerten Gewerkschaft Fedetrans — Subventionierung des Diesels, Herabsetzung des Rentenalters von 65 auf 60 Jahre und Einschränkung der Lizenzvergabe, um die Konkurrenz zu mildern – leuchteten auch ihren Kollegen im Rest des Landes ein. Überall standen plötzlich Barrikaden auf den Fernstraßen.

An immer mehr Tankstellen – vor allem in Nordspanien – hängt das Schild „Wegen Benzinmangel geschlossen“. Wenn überhaupt, erreichen die Tanklaster ihr Ziel nur mit Hilfe starker Polizeieskorten. In den Häfen gammelt der Fisch. Die Großhändler rechnen mit Verlusten von bis zu 35 Millionen Mark pro Woche. Die Zuckerrübenernte wurde eingestellt, 600.000 Tonnen drohen auf den Feldern zu vermodern, die verarbeitenden Betriebe mußten schließen. Am stärksten betroffen ist die Automobilindustrie. Renault, Mercedes, Nissan, Volkswagen und Citroän mußten ihre Arbeiter bereits vorgestern nach Hause schicken, Opel, Peugeot und Seat folgen spätestens am Montag.

Ein schnelles Ende des Streiks ist nicht in Sicht, da die Regierung von José Maria Aznar die Forderungen der Lkw-Fahrer nicht erfüllen kann, ohne das Haushaltsdefizit für dieses Jahr – die entscheidende Größe für den Beitritt zur Europäischen Währungsunion – in die Höhe zu treiben. Die zusätzlichen Ausgaben für eine neue Rentenregelung und Kraftstoffsubventionen würden sich auf zwei Milliarden Mark belaufen, mehr als ein Drittel dessen, was das Finanzministerium an Erdölsteuern eintreibt. Erste Gespräche im Transportkomitee, dem neben den verschiedenen Transportverbänden auch Staatssekretäre aus verschiedenen Ministerien angehören, kommen nur langsam voran.

Fedetrans bleibt dem Treffen gleich ganz fern. Nur eine Sondersitzung des Ministerrates, so ihr Argument, könne die nötigen Gesetze zur Erfüllung ihrer Forderungen verabschieden. Sollte Aznar diese nicht einberufen, droht Fedetrans, den Streik noch einmal auszuweiten: Die Gewerkschaft will in einem Überraschungsschlag das ganze Land von den Benzinlieferungen abschneiden.

Das Innenministerium rief mittlerweile die Guardia Civil auf den Plan. Die Polizeitruppe soll „all denen Geleitschutz gewähren, die ihn anfordern“. Vor allem den ausländischen Lkws, die sich auf der anderen Seite der spanischen Grenze, in Portugal und Frankreich, stauen, soll so die Weiterfahrt zum Zielort ermöglicht werden. Ein nicht ganz ungefährliches Unternehmen, denn die gewalttätigen Übergriffe auf Streikbrecher und die Auseinandersetzungen mit der Polizei häufen sich, seit vorgestern früh ein französischer Lkw beim Versuch, eine Barrikade zu durchbrechen, einen 28jährigen Streikposten tödlich verletzte.

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