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„Der Mensch gängt nicht, er geht“

■ Neubewertung der Verkehrsmittel. Ein Interview mit dem Lobbyisten der Fußgeher, dem Stadtplaner Hermann Knoflacher

Professor Hermann Knoflacher ist Stadtplaner in Wien. Er gilt seit langem als der „Papst der Fußgeher“ und beschäftigt sich – nach eigener Einschätzung – mit „menschlichen Verhaltensweisen“.

taz: Sie sprechen stets konsequent vom „Fußgeher“. Warum haben Sie denn den konventionellen Begriff des Fußgängers durch diesen Terminus ersetzt?

Hermann Knoflacher: Weil der Mensch geht und nicht gängt. Er ist ein Geher. Der Begriff des Fußgängers ist ein typisches Beispiel für die semantische Umweltverschmutzung in der Verkehrswissenschaft. Genauso wie der Begriff der Straße, denn meistens handelt es sich nicht um eine Straße, sondenr lediglich um eine Fahrbahn. So entstehen völlig falsche Assoziationen.

Sie gelten als Vertreter der These von der konstanten Größe sowohl der täglichen Wegezahl als auch des durchschnittlichen Verkehrszeitbudgets. Daran hätten auch das Auto und andere schnelle Verkehrsmittel gar nichts geändert; gestiegen sei lediglich die durchschnittliche Entfernung der Wege. Das klingt kühn. Woher nehmen Sie die Datenbasis für diese These?

Die Zahl der täglichen Wege ist bestimmt durch uralte Basisbedürfnisse. Sie liegt im Schnitt bei drei Wegen, und das wird auch noch in 10.000 Jahren so sein. Ausnahme sind allein Notzeiten, denn dann sind die Menschen gezwungen, mehr und längere Wege zu tun. Das hat man nur nicht erkannt, obwohl dies schon vor 107 Jahren nach einer Untersuchung des Reiseverhaltens in der Formulierung des Lillschen Gesetzes enthalten war. Dieses Gesetz besagt, daß das Verhältnis von Reisehäufigkeit und Reiselänge konstant ist. Die Leute fahren entweder häufiger oder länger, doch die Summe der Reisezeit bleibt immer gleich. Was sich erhöht hat, sind allein die Entfernungen, eine Folge gestiegener Geschwindigkeiten. Und deshalb werden wir so leicht getäuscht. Denn wir befriedigen durch weitere Entfernungen unsere Basisbedürfnisse nicht besser, sondern wir zerstören dabei nur unsere Umgebung.

Die Forderung nach der „Stadt der kurzen Wege“ ist inzwischen sehr in Mode. Aber wollen die Menschen, die derzeit zum großen Teil einen entfernungsintensiven Lebensstil pflegen, ein solches Siedlungsmodell überhaupt haben?

Das Motto ist richtig, aber nicht der Weg dorthin. Es werden Ursache und Wirkung verwechselt. Was wir brauchen, ist eine Stadt der geringen Geschwindigkeiten, eine Stadt der Fußgeher. Die historische Stadt war eine der niedrigen Geschwindigkeiten und damit automatisch auch eine Stadt der kurzen Wege. Offensichtlich wollen die Menschen dies auch, sonst würde die Forderung nicht immer wieder aufkommen. Aber sie wollen doch beides: die Stadt der kurzen Wege mit allem Komfort und gleichzeitig auch die gute Erreichbarkeit ferner Ziele. Beides zusammen geht aber nicht, entweder – oder. Das ist letztlich immer eine Frage der Bewertung. Interview: Weert Canzler

Jüngste Bücher zum Thema: „Fußgeher- und Fahrradverkehr“, Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar 1995 sowie „Landschaft ohne Autobahn“, Böhlau Verlag, Wien/ Köln/Weimar, im Druck

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