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Die Nato offenbart ihre Konzeptionslosigkeit

■ Zwanghafte Bemühungen, Moskau für die Nato-Osterweiterung zu gewinnen

Genf (taz) – Im Bemühen um eine Zustimmung Rußlands zur Osterweitung der Nato überschlagen sich die führenden Mitgliedsstaaten der westlichen Militärallianz mit immer neuen Vorschlägen und Initiativen. Dabei werden zunehmend Konzeptionslosigkeit, mangelnde Koordination und Nato-interne Widersprüche deutlich. Wie bereits bei den Besuchen der neuen US-Außenministerin Madeleine Albright in diversen westeuropäischen Nato-Hauptstädten in den vergangenen Tagen steht das Thema auch bei ihrem heutigen Treffen mit dem russischen Präsidenten Boris Jelzin in Moskau ganz oben auf der Tagesordnung. Ebenso wie bei der gleichzeitigen Visite des französischen Staatspräsidenten Jaques Chirac in Rumänien. Mit einem Vorschlag über ein neues Rüstungskontrollabkommen für konventionelle Waffen in Europa hofft die Nato, Moskaus Bedenken gegen die Osterweiterung der Allianz aufzuweichen.

Albright will heute Präsident Jelzin den Vorschlag zur Bildung einer gemeinsamen Brigade aus Truppen der Nato und Rußlands für Peacekeeping-Einsätze erläutern. Die bisherigen Moskauer Reaktionen auf den Vorschlag fielen eher kühl aus. Moskau fordert weiterhin einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag über eine Sicherheitspartnerschaft zwischen der Nato und Rußland, bevor die Nato im Juli in Madrid über die Aufnahme neuer Mitglieder entscheidet. Doch die Mehrheit der Nato-Staaten ist bislang lediglich zur Vereinbarung einer unverbindlichen „Charta“ mit Moskau bereit. Albright wird in Moskau auch das für den 20./21. März geplante Gipfeltreffen zwischen Jelzin und US-Präsident Bill Clinton in Helsinki vorbereiten. Dort sollen nach Washingtons Vorstellungen die letzten Moskauer Widerstände gegen die Nato-Erweiterung beseitigt und der Weg frei gemacht werden für die Ratifizierung des atomaren Rüstungskontrollabkommens START II sowie die Aufnahme von Verhandlungen über START III.

Möglicherweise wird Albright Jelzin heute auch einen neue Rüstungskontrollinitiative erläutern, die die Nato nach Informationen aus dem Brüsseler Hauptquartier nächste Woche in Wien am Sitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) unterbreiten will. Nach diesem Vorschlag soll ein Nachfolgeabkommen für den 1989 zwischen Nato und Warschauer Pakt vereinbarten Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) ausgehandelt werden. Dieser legte für bestimmte geographische Zonen zwischen Atlantik und Ural Obergrenzen für fünf Waffenkategorien fest. In dem Nachfolgeabkommen (KSE 2) sollen nach Vorstellungen der Nato nicht nur weitergehende Begrenzungen für Waffensysteme, sondern auch für die Personalstärke von Streitkräften festgelegt werden. Außerdem sollen die Obergrenzen nicht mehr für Zonen, sondern für einzelne Staaten definiert werden. Für neue Nato-Mitglieder aus Osteuropa würden die Obergrenzen für eigene wie auch für die Stationierung und für Manöver von ausländischen Streitkräften festgelegt werden. Die Nato hofft, damit Moskaus Sorgen überwinden zu können, sie könnte eines Tages das Territorium ihrer neuen Mitglieder in Osteuropa als Aufmarschgebiet gegen Rußland nutzen. Über die genauen Zahlen für künftige Obergrenzen gibt es allerdings noch Differenzen unter den Nato- Staaten. Nicht bereit ist die Allianz zu einer völkerrechtlich verbindlichen Festlegung, unter keinen Umständen Atomwaffen auf dem Territorium neuer Mitglieder in Osteuropa zu stationieren. Dies soll lediglich derzeit nicht geschehen, heißt es in den Textentwürfen der Nato.

Frankreichs Präsident Chirac hat die Debatte weiter kompliziert. Er forderte gestern, daß zur ersten Gruppe neuer Nato-Mitglieder „auf jeden Fall auch Rumänien gehören“ müsse. Bislang gelten lediglich Polen, Ungarn und die Tschechische Republik als Kandidaten für eine erste Aufnahmerunde. Andreas Zumach

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