„Ein Steher kommt im Revier gut an“

In Nordrhein-Westfalen trommeln führende Sozis für Gerhard Schröder als Kanzlerkandidaten: Derweil schweigt der einst geschmähte Ministerpräsident Niedersachsens – und genießt  ■ Aus Essen Walter Jakobs

Gerhard Schröder gibt sich ganz leutselig. Nein, mit Parteipolitik haben seine sich häufenden Auftritte im Revier „nichts zu tun“. Daran sei „nix Spektakuläres“. Ist er beim Wirtschaftsforum des Kommunalverbandes Ruhr in Essen etwa nichts als ein beliebiger Referent?

Keineswegs, denn tatsächlich dienen Schröders Stippvisiten in Nordrhein-Westfalen nur einem Ziel: der Vorbereitung seiner Kanzlerkandidatur im kommenden Jahr. Denn auf die Zustimmung der NRW-Genossen kommt es an. Mehr als ein Viertel der gut 800.000 Parteimitglieder leben hier. Und die sollen auf den niedersächsischen Ministerpräsidenten eingestimmt werden.

Schröder weiß inzwischen gewichtige Landespolitiker an seiner Seite. Öffentlich am meisten aus der Deckung gewagt hat sich der einflußreiche wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Bodo Hombach. Beim Ruhrforum vorgestern abend sitzen die beiden Seit' an Seit' auf dem Podium. Hombach sieht Schröder im Revier von einer „hoffnungsfrohen Woge der Sympathie“ getragen. Die Bild am Sonntag zitierte Hombach, der für Johannes Rau drei erfolgreiche Landtagswahlkämpfe dirigierte, jüngst so: „Gerhard Schröder ist der einzige Kanzlerkandidat der SPD, der Chancen hat, die Wahlen 1989 zu gewinnen. Das sagen alle, die hier im Lande etwas von Wirtschaft verstehen.“ Hochbach fühlt sich zwar von dem Blatt falsch zitiert, aber er räumt ein, daß die Aussage „meine inneren Empfindungen ausdrückt“.

Auch Wirtschaftsminister Wolfgang Clement denkt kaum anders. In wirtschafts- und energiepolitischen Fragen könnte der Schulterschluß zwischen Schröder und Clement nicht enger sein. Zuletzt bezogen beide zusammen auf dem Jugendparteitag der SPD Ende vorigen Jahres in Köln gemeinsam deftige Prügel. Während Parteichef Oskar Lafontaine an der Seite der Jusos für die Ausbildungszwangsabgabe stritt, warben Clement und Schröder unisono für freiwillige Vereinbarungen mit der Wirtschaft nach dem Muster des NRW-Ausbildungskonsenses.

Auch beim Entsorgungskonsens sind beide eng beieinander. Daß Niedersachsen um ein Zwischenlager in Gorleben „nicht herumkommen wird“ und das atomare Zwischenlager in Ahaus, anders als im rot-grünen Koalitionsvertrag noch als Ziel formuliert, auch Atommüll aus anderen Bundesländern aufnehmen muß, liegt für Schröder „auf der Hand“. Auch in diesem Punkt stimmt Clement dem Regierungschef Niedersachsens zu. Dieser Gleichklang schließt auch den Düsseldorfer SPD-Fraktionsvorsitzenden Klaus Matthiesen ein, der Schröder statt Oskar Lafontaine favorisiert.

Eine pikante Wende zeichnet sich hier ab. Noch 1993 zählten – außer Friedhelm Farthmann – fast alle Führungsgenossen der NRW- SPD zur Anti-Schröder-Front. Matthiesen giftete seinerzeit, der Niedersachse stelle ein „persönliches Risiko“ dar und sei als „Führungsfigur ungeeignet“. Ohne nordrhein-westfälischen Zuspruch hätte Rudolf Scharping seine Kanzlerkandidatenkür gegen Schröder und Heidemarie Wieczorek-Zeul kaum für sich entscheiden können.

Inzwischen grämen sich viele Spitzensozis über diesen „grausamen Fehler“. Noch wahren die meisten zwar Parteidisziplin und schweigen, aber in vertrauten Gesprächen wird die große Skepsis gegen Lafontaine als Kohl-Alternative immer häufiger spürbar. Offen treten mittlerweile SPD-Fraktionsvorsitzende aus Revier-Rathäusern für Schröder ein – etwa in traditionellen Hochburgen der SPD in Oberhausen oder Essen.

Hombach erklärt das mit der „wirtschaftspolitischen Kompetenz“ des Kandidaten in spe: „Ökonomie und Arbeit driften dramatisch auseinander. Die Aktien steigen, die Arbeitslosigkeit auch. Da erinnert man sich, daß Schröder zu einer Zeit kraftvoll für die Arbeit stritt, als es dafür noch Breitseiten gab. Er hat das durchgestanden. Und ein Steher kommt im Ruhrgebiet gut an.“

Schröders „radikaler Pragmatismus“, zu dem er auch bei Gegenwind stehe, komme an, weil political correctness die Leute nur noch „nerve“. Das Bewußtsein dafür, „daß die Ungeduldigen die blockierte Gesellschaft in Bewegung bringen müssen“, wachse überall im Lande. Nicht zuletzt darin liege Schröders Chance. Für Hombach gibt es keinen Zweifel daran, daß der Mann aus Hannover für die SPD beim Kampf um Bonn am meisten herausholen kann.

Schröder schwieg sich zu all dem am Donnerstag auffallend konsequent aus. Er genoß den Beifall, mit dem die gut 500 Teilnehmer im überfüllten Saal eines Essener Hotels seine wirtschaftspolitische Standardrede quittierten, um dann mit demonstrativer Gelassenheit alle Journalistenfragen zu seinen Bonner Ambitionen abzuwehren. Am Ende kam ihm nur ein Satz über die Lippen: „Mein nichtvorhandener Ehrgeiz ist doch sprichwörtlich geworden.“ Man mußte schon sehr genau hinsehen, um dabei schalkhafte Züge in seinem Gesicht zu entdecken.