: Mission gegen den Kapitalismus
Die nächste Woche erscheinende Autobiographie der Terroristin Inge Viett ist eine späte Hommage an die DDR. Über den früheren militanten Untergrund im Westen erfährt man wenig ■ Von Wolfgang Gast
Vor dem Berliner Landgericht schlägt in diesen Tagen die Anfang 1990 aufgeflogene Stasi-RAF- Connection hohe Wellen. Vier frühere Offiziere des Ministeriums für Staatssicherheit sind angeklagt, weil sie sich mit der Einbürgerung von zehn Mitgliedern der Rote Armee Fraktion (RAF) in die DDR schuldig gemacht haben sollen. Ihnen wird Strafvereitelung vorgeworfen. Sie sollen die Strafverfolgung des bundesdeutschen Staatsschutzes hintertrieben haben. Es ist einer jener kuriosen, wenn nicht absurden Prozesse, die erst der Fall der Mauer möglich gemacht hat. Es ist eine zu spät gekommene deutsch-deutsche Geschichte. Ausgeleuchtet werden heute die Motive, die den Staatsapparat in Ostberlin zur Aufnahme der kampfesmüden Militanten aus dem Westen bewogen haben könnte.
In den Hintergrund tritt eine andere Geschichte. Die nämlich, wie aus westdeutschen Linken, die sich im Verlauf der Studentenrevolte Ende der sechziger Jahre zu Militanten radikalisierten und selbstherrlich für sich in Anspruch nahmen, über Leben und Tod ihrer Gegner entscheiden zu dürfen – wie aus diesen biedere und brave Bürger der DDR wurden; Neubürger, die wie Millionen ihrer neuen Landsleute auch, sich aus der Politik in die Nischen der DDR-Gesellschaft zurückzogen.
Das Verhältnis zwischen den in der Bundesrepublik Gesuchten und ihren Helfern aus dem ganz nahen Osten muß reichlich kompliziert gewesen sein. Das schreibt eine, die es wissen muß: Inge Viett, früheres Mitglied der Bewegung 2. Juni, dann für kurze Zeit in der Roten Armee Fraktion und schließlich im ersten Arbeiter- und-Bauern-Staat abgetaucht. „In jeder Diskussion prallten zwei grundsätzlich verschiedene Bewußtseinsebenen aufeinander. Auf der einen Seite das von Selbstbewußtsein und Anmaßung strotzende Verständnis, welches allein dem Guerillakampf einen maßgeblichen Stellenwert einräumte – nicht allein als militärisch-politische Komponente, sondern als Emanzipationsfeld, auf dem die Revolutionierung des kämpfenden Subjekts kollektiv erkämpft und gelebt werden konnte. Auf der anderen Seite der Glaube an die in Parteibeschlüsse gepreßte, aus der Geschichte der Großmachtkämpfe um internationale Balance entwickelte Strategie, die als Einheit, als fester Block, den Gegner in Schach zu halten suchte und in der jedes autonome rebellische Nest eine potentielle Störung des ausgehandelten Gleichgewichts bedeutete. (...) Beiden Seiten war diese tiefe Verschiedenheit der politischen Auffassungen bewußt, die einzig im gemeinsamen Gegner eine Brücke hatten.“
Inge Viett beschreibt in ihrer nächste Woche erscheinenden Autobiographie die Gespräche mit den Mitarbeitern der Staatssicherheit, die 1980 die Aufnahme der acht aussteigewilliger RAF-Mitglieder in der DDR vorbereiteten. Inge Viett folgte den acht GenossInnen, allerdings erst 1982.
„Nie war ich furchtloser“ heißt das 320 Seiten starke Buch, doch was die frühere Militante damit meint, erschließt sich so recht nicht. Geschrieben hat es Inge Viett während ihrer fast siebenjähriger Haft. Am 24. Januar diesen Jahres wurde sie entlassen. Der Prolog, den sie ihrer Biographie voranstellte, liest sich keineswegs so furchtlos, wie der Titel vermuten läßt. „Mein Leben taugt nicht als moralischer Fingerzeig“, meint sie, „meinen Niederlagen kann ich keine politischen Sentenzen abringen. Wer sich gegen den Kapitalismus erhebt, wird sich seine Vorbilder in der Geschichte suchen, wie ich es getan habe. Die Fehler werden immer die eigenen und nicht die der Vorbilder sein. Mein Buch ist keine Mission. Ich schreibe, um hinter den Mauern lebendig zu bleiben.“
Das Buch mag keine Mission sein, der Kampf gegen den Kapitalismus ist es aber doch. Gegen diesen erhob sie sich bis zuletzt, bis zum Untergang der DDR. Auf ihre Art hat Inge Viett einiges für die Geschichtsbücher hinterlassen: Die Teilnahme an der spektakulären Entführung des CDU-Landesvorsitzenden Peter Lorenz im Jahr 1975, zweimal konnte sie aus dem Gefängnis ausbrechen, andere befreite sie aus dem Knast, sie war es schließlich, die den Kontakt der Guerilla mit dem Geheimdienst der DDR herstellte.
Eine glühende Verfechterin der DDR ist Inge Viett auch heute noch. Kritische Anmerkungen über den Alltag in der DDR sind rar, die Worte Glasnost und Perestroika sucht man vergebens, keine Zeile auch zum Verbot der Satirezeitschrift Sputnik, kein Wort zu den Rosa-Luxenburg-Demonstrationen, bei denen aufmüpfige DDR-BürgerInnen Meinungsfreiheit in der DDR einklagen wollten. Inge Viett erzählt merkwürdig selektiv, über ihre frühe Kindheit, über das Leben im Untergrund, über ihr Leben als Eva Maria Sommer in der DDR. Manches gerät unfreiwillig komisch. Etwa, wenn die Autorin nach ihrem Übertritt in die DDR die allgegenwärtigen SED-Losungen schönschreibt und der kapitalistischen Werbewirtschaft gegenüberstellt. „Die Propaganda in der DDR war ungeheuer simpel, klar und durchschaubar, von allen Menschen als solche zu erkennen. Damit hat sie jedem die Freiheit gelassen, sich vor ihr zu verschließen, sich zu distanzieren. Die psychologisch ausgeklügelte, differenzierte Propaganda des Kapitals erlaubt dies nicht mehr, sie hat alle inneren und äußeren Lebensbereiche durchdrungen, sie steuert die Bedürfnisse und Lebensentwürfe, ohne mehr wahrgenommen zu werden. Sie ist gefährlich und dort, wo sie deutlich sichtbar ist, eine impertinente Plage.“ Bei solchen Sätzen erinnert man sich an den Gott sei Dank dahingegangenen „Schwarzen Kanal“ des Eduard von Schnitzler.
Vor Gericht ist das Abtauchen der Militanten in den ersten Arbeiter-und-Bauern-Staat ein eher randständiges Thema. Keiner der einstigen Kämpfer aus dem Westen wird als Zeuge aufgeboten, der Vorgang wird von den Angeklagten schließlich nicht bestritten. Über die angebliche Untat der MfS-Angehörigen wird streng in juristischen Formeln verhandelt, und die dahinterliegenden Motive werden in grobschlächtige Aussagen verpackt. Etwa der, daß die Einbürgerung der RAFler dem Schutz der DDR vor terroristischen Straftaten dienen sollte. Oder gröber noch, daß die durch die RAF-Anschläge ausgelösten umfangreichen Fahndungsmaßnahmen eine Gefahr für die eigenen Kundschafter an der unsichtbaren Front nach sich gezogen hätten.
So bleibt der Blick versperrt auf die kleinen Ereignisse und Empfindungen. Zum Beispiel die, daß einer der MfS-Mitarbeiter, ein Sprengstoffexperte, der das RAF- Mitglied Inge Viett bei einer Schießübung auf einem Truppenübungsplatz in der DDR kennenlernte, noch heute von ihr schwärmt und sich regelmäßig nach ihr erkundigt. Vietts Biographie erzählt davon nichts, die Schießübungen interessieren sie heute nicht mehr, wichtiger sind ihr die großen politischen Linien. So liest sich das Buch als der Bericht einer Kämpferin, die über den Untergang der DDR niemals hinweggekommen ist und die sich in den Mythos Widerstand flüchtet.
Inge Viett: „Nie war ich so furchtlos“. 320 Seiten, Edition Nautilus, Hamburg 1997, 39,80 DM
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