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Verwirrung reicht nicht, um etwas zu verändern

Warum Parteiarbeit radikal ist. Wer verändern will, muß Visionen haben. Aus Visionen wird Politik, bei Raves mit „free shit“ und in der Partei  ■ Von Heike Opitz

Das hat mich doch gewundert. Die Mittzwanziger Heike Blümner und Tobias Rapp haben in einem Pamphlet in der taz (12.2.) ihre eigene Generation am Wickel. Erst kritisieren sie die alten 68er als institutionell und angepaßt, um gleich anschließend bei denen weiterzumachen, die in ihrem Alter sind und tatsächlich Parteipolitik machen: alles angepaßte Langeweiler.

Diese Generationenbeschreibung teile ich nicht, wahrscheinlich aus dem einfachen Grund, da ich selbst parteinahe Politik mache und mich trotzdem nicht als angepaßt und langweilig erlebe. Meine Umgebung hält mich eher für zu radikal.

Manche Kritik an den Alt-68ern teile ich. Sie lebten im Paradies, es gab noch Gut und Böse und selbst nach dem Politologiestudium einen sicheren Job. Vom Internationalismus haben sie geredet, von der Globalisierung hatte nie jemand gehört.

Und doch kommen mir Heike und Tobias wie „Als ob 68er“ vor. Sie haben keine neuen Aktionsformen entwickelt, haben sinnlos Steine geschleppt, als ob sie in den Guerillakrieg ziehen. Sie wollen Verwirrung stiften, aber am Ende sind sie genauso angepaßt wie die echten 68er.

Verwirrung haben die Alten damals auch gestiftet, haben demonstriert gegen den Konsumterror, um darauf die größten Konsumenten aller Zeiten zu werden. Verwirrung reicht einfach nicht, um etwas zu verändern. Das aber ist mein Ziel – immer noch.

„Du mit deiner Parteipolitik hast echt 'ne Macke“ war ein oft gehörter Standardspruch aus meiner Schulzeit. Den Vorwurf höre ich seltener, seit ich studiere. Verwundert aber bin ich immer noch. Es ist ja nicht so, daß ich jedem oder jeder vorschreiben möchte, er oder sie solle Parteipolitik machen. Jedes Engagement ist positiv und wichtig, egal auf welcher Ebene, auch bei einer Partei.

Ich habe in Aachen nach dem Golfkrieg angefangen, Grünen- nahe Politik zu machen. Wir waren ungefähr 20 Leute, hatten Lust aufs Politikmachen und waren entsetzt über die Folgenlosigkeit der Demonstrationen gegen den Golfkrieg. Das Hauptmotiv war damals das Gefühl, daß dies nicht alles gewesen sein kann. Und damit waren wir Aktiven plötzlich eine Ausnahme, weil meine Generation nach den demotivierenden Erlebnissen in eine Politiklethargie verfallen ist, von der sie sich immer noch nicht erholt hat.

Die Grünen boten uns damals das perfekte Forum. Sie stellten ihr Büro und Geld zur Verfügung. Struktur und Hierarchien gab es nicht, dafür Telefone, Computer und Fax-Geräte. Wir konnten machen, was wir wollten. Nach einem halben Jahr Diskussionen und Feten haben wir dann beschlossen, die „Grüne Jugend“ zu werden.

Straßenbesetzungen folgten, die Alten waren beeindruckt, aber auch Vortragsreihen über das Geschlechterverhältnis. Und Gremienarbeit. Die finde ich nicht ätzend. Nach 13 Jahren Schule bin ich einiges gewöhnt, dagegen ist ein Treffen der Grünen Genuß. Also bin ich in die Landesjugendpolitik eingestiegen.

Kurz nach dem Abitur, immer noch nicht entnervt und desillusioniert, bin ich sogar als Beisitzerin in den Bundesvorstand des Grün-Alternativen Jugendbündnis (GAJB) gewählt worden. Das Jugendbündnis war gerade ein halbes Jahr alt und von den Alt-Grünen als offizieller Jugendverband anerkannt worden. Ansonsten war der Laden gefüllt mit netten Leuten – und furchtbar chaotisch. Auch hier keine alten, festen Strukturen. Wir konnten bestimmen, was läuft.

Auch ich wollte studieren und habe deswegen eine Politikpause gemacht. Doch dann hat sich die soziale Situation in Deutschland dramatisch verschärft. Die Regierung Kohl kürzte gerade da, wo es uns Jüngere trifft. Das geht beim Zahnersatz für Menschen unter 18 los und hört bei Kürzungen der Ausbildungsförderung und den immer wieder aufgeschobenen nötigen Reformen im Bildungssystem noch lange nicht auf. Die Lebensarbeitszeit wird wieder länger, das heißt, die Älteren müssen länger schaffen, und die Jungen bekommen keine Jobs. Die Alten kündigen den Generationenvertrag, keine gesicherte Ausbildung mehr für die Jungen. Besonders benachteiligt sind junge Frauen, sie bekommen noch seltener einen Ausbildungsplatz und werden anschließend noch seltener von ihrem Betrieb übernommen.

Von neuen Lebensvorstellungen keine Spur mehr. Teilzeitarbeit, um die Möglichkeit zu haben, gemeinsam Kinder zu erziehen oder einfach mehr Zeit für sich zu haben, findet in der politischen Diskussion nicht statt. Dabei könnte mit mehr Teilzeitarbeit sowohl die Situation auf dem Arbeitsmarkt als auch der Generationenkonflikt entschärft werden. Unsere, meine Generation, vor allem der weibliche Teil, soll zu den Verlierern der Zukunft gemacht werden.

Bei solche Aussichten packt mich die Wut. Der Sozialstaat bricht zusammen, und es scheint, die herrschende Politik hat weder die Macht noch die Lust, ihn zu retten. Weil ich aber meine Zukunft nicht aufgeben will, weil ich eine andere Vorstellung von meiner Zukunft habe, ist Lethargie nicht die Antwort. Verwirrung zu stiften auch nicht.

Voraussetzung ist, eine Vision zu haben. Solche Visionen sind nicht an Parteipolitik oder Ideologien gebunden. Und aus Visionen kann auf vielerlei Art Realität werden. Eine Bürgerinitiative kann der Motor sein, Raves mit „free shit“ oder eben auch eine Partei.

Meine Vision ist, eine möglichst lebenswerte Welt für möglichst viele zu schaffen. Und weil in unserer Gesellschaft ausreichend Kapital vorhanden ist, ist sie sogar realisierbar. Um der Vision näherzukommen, habe ich mich für die politische Arbeit im Jugendbündnis entschieden.

Dort hat sich mittlerweile einiges verändert. Wir sind viel mehr geworden, 4.000 sind es drei Jahre nach der Gründung. Ich war zwischendurch Schatzmeisterin und habe mich wunderbar mit Alt- Grünen, Alt-68ern gestritten. Sie wollten, daß wir Häuser besetzen, statt Geld zu fordern für unsere politische Arbeit. Es hat gedauert, aber schließlich haben sie eingesehen, daß Geld manchmal nötiger ist, als Häuser zu besetzen. Inzwischen bin ich die Sprecherin in diesem Laden geworden. Was sich nicht verändert hat: Wir sind immer noch ein bunter, chaotischer, liebenswerter Haufen. Und darüber bin ich froh.

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