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Die hassen uns einfach!

Seit die SPD feststellen muß, daß ihr Vorsprung vor den Grünen in den Großstädten immer mehr abnimmt, wird das Verhältnis zwischen den beiden Parteien immer komplizierter. Nach dem Desaster in Stuttgart im letzten Herbst kommt am Sonntag in Frankfurt neues Ungemach auf die Sozialdemokraten zu  ■ Von Jürgen Gottschlich

„Ich kann doch darauf vertrauen, daß Sie mich nicht namentlich zitieren?“ Ein Hintergrundgespräch sei o.k., „ich habe auch ein Interesse daran, daß die Zusammenhänge richtig dargestellt werden, aber nicht als persönliche Schlammschlacht“. Wo das Gespräch denn stattfinden soll? „Nicht in meinem Büro, besser in einem Restaurant in der City.“ Es ist fast schon ein Frühlingstag in Stuttgart. Der Schloßplatz ist voll von Leuten, die alle in die Sonne schauen, so daß sich ein Treffen dann auch ganz unauffällig gestalten läßt.

Baden-Württembergs SPD- Prominenz ist derzeit nicht scharf auf Publicity. Am liebsten würde man erst einmal ganz abtauchen, speziell in Stuttgart, wo ein Ende der Demütigung noch gar nicht in Sicht ist. Noch drei Monate nach der katastrophalen Wahl zum Oberbürgermeister hievte das Stadtmagazin Lift in seiner Februarausgabe einen am Strick baumelnden SPD-Gartenzwerg auf das Cover und titelte dazu: „SPD am Ende“. Ganz ohne Fragezeichen. In dem anonym geführten Gespräch wird auch gar nicht mehr versucht, diesem Eindruck zu widersprechen. Seit der SPD-Kandidat für das Amt des Oberbürgermeisters am 10. November letzten Jahres bei sage und schreibe 13 Prozent landete, ist die Verzweiflung in der Partei endemisch. Auf die Frage, ob sie Angst um ihre Mutterpartei haben, antwortete der Vorstand der Stuttgarter Jusos gegenüber Lift kollektiv nur noch mit einem Wort: „Ja“.

Aus Sicht der Juso-Sprecherin Claudia Priebe wird die Gefahr auch nicht so bald vorbei sein. „Wir haben“ sagt sie, „zwischen den Polen Schwarz und Grün gerade keine Chance. SPD ist im Moment nicht in – und viele, die schon lange in der SPD sind, ziehen sich zurück. Ist ja auch logisch: Wer möchte schon gerne auf der Verliererseite stehen.“

Auf den ersten Blick scheint das Tief in Stuttgart ein lokaler Ausreißer zu sein. Bundesweit rangiert die Partei in Umfragen bei gut 35 Prozent, manchmal sogar schon gleichauf mit der CDU bei 36 bis 37 Prozent, in den letzten Tagen gar vor der Union. Der Wert scheint den Optimisten in der Parteiführung recht zu geben, die, wie der frühere Bundesgeschäftsführer Verheugen, vor dem Mannheimer Parteitag im November 95 prophezeiten, die Partei werde sich aus ihrem Tief unter 30 Prozent wieder erholen, sobald die Personalquerelen an der Spitze aufhörten. Seit Oskar Lafontaine regiert, geht es demoskopisch tatsächlich wieder aufwärts, doch in der Partei will trotzdem keine rechte Freude aufkommen. Wer etwas genauer hinschaut, weiß, daß Stuttgart eben kein singuläres Ereignis war.

Bereits vor dem Desaster bei der OB-Wahl am Neckar haben die Grünen in Baden-Württemberg es geschafft, sich in zwei anderen Großstädten vor die SPD zu schieben. In Konstanz stellen sie den Oberbürgermeister, und auch in Freiburg wurden die Grünen zweitstärkste Partei nach der CDU. SPD-Spitzenpolitiker im Südwesten befürchten deshalb, daß ihre Region nicht die Ausnahme ist, sondern nur die zukünftige Regel vorwegnimmt: In den westdeutschen Großstädten, so der Stuttgarter Anonymus, wird sich das fortschrittliche Lager über kurz oder lang wohl zwischen SPD und Grünen halbieren.

Für die politische Landschaft in Deutschland wäre das der Beginn einer neuen Epoche. Gerade die SPD, die die Macht in Deutschland über die Rathäuser der Großstädte eroberte, wird immer häufiger mit der Situation konfrontiert werden, daß die Grünen sogar stärker sind als sie. Der Politologe Dr. Roth, Großstadtspezialist der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen, geht sogar davon aus, daß sich das Verhältnis zwischen SPD und Grünen insgesamt umkehren könnte. „Bereits heute hat die SPD nur noch insgesamt 14 Prozent harte Traditionswähler. Vor 20 Jahren waren das noch 35 Prozent.“ Roth glaubt, daß der SPD im Moment auch das Potential zur Erneuerung fehlt. „In drei bis vier Legislaturperioden sind die Grünen die größere Partei – wenn die Entwicklung der letzten 15 Jahre so weitergeht.“

Für diese Annahme sprechen zuerst einmal soziologische Gründe. Die klassischen Milieus in den Städten lösen sich auf, der Einfluß gesellschaftlicher Großorganisationen, wie Kirchen und Gewerkschaften, geht zurück, die Bindung an eine bestimmte Partei nimmt gerade in den Metropolen drastisch ab. Johanno Strasser, einer der wenigen der SPD verbliebenen Intellektuellen, geht davon aus, daß sich die Kommunikationsformen in den Großstädten völlig verändert haben und die Medien, im Zusammenspiel mit dem aktiven, wenig festgelegten Teil der großstädtischen Gesellschaft die jeweiligen Trends festlegen. „Zur Zeit entspricht das grüne Personal eher diesem aktiven Teil der Gesellschaft, deshalb liegen die Grünen auch mehr im Trend. Dazu kommt, daß die SPD als die bisherige Großstadtpartei der Bundesrepublik oft durch lange Regierungszeiten zerschlissen ist.“

Zur Lösung dieses Dilemmas fällt weder Strasser noch dem Bundesgeschäftsführer der Partei, Franz Müntefering, viel ein. Beide gehen allerdings davon aus, daß es immer wichtiger wird, welche Personen die Partei den Wählern anbietet. „Gerade in den Großstädten“, so Strasser, „muß man natürlich versuchen, frei flottierende Wählergruppen über interessante Personen zu binden. Da hatte die SPD in letzter Zeit sicher Probleme.“

Stimmt man diesen Analysen zu, steht die Sozialdemokratie in Frankfurt vor einem neuen Tiefpunkt. Alle Indikatoren für einen weiteren Niedergang treffen auf die Metropole am Main geradezu modellhaft zu, weshalb die SPD bereits mit Grausen auf die Kommunalwahlen am kommenden Sonntag schaut. So kurz vor den Wahlen können es sich die Genossen dennoch nicht leisten, völlig abzutauchen, weshalb sich der Geschäftsführer der Frankfurter SPD, Franz Frey, der auch den Wahlkampf der Spitzenkandidatin Rita Streeb-Hesse organisiert, widerwillig zu einem Gespräch bereit erklärt. Der Mann wirkt so siegessicher wie ein Boxer, der gerade ausgezählt wird. Allerdings ist er um seinen Job auch nicht zu beneiden. Systematisch hat sich gerade die Frankfurter SPD in den letzten 15 Jahren selbst demontiert. Vor allem die Personalpolitik suchte bundesweit ihresgleichen. So schnell wie in der Mainmetropole wurden nirgendwo sonst amtierende Oberbürgermeister von der eigenen Partei verschlissen. Erst Volker Hauff, den die Genossen nach rund zwei Jahren zum Rücktritt zwangen, dann Andreas von Schoeler, der es auch nicht viel länger machte, weil Abweichler in seiner Fraktion ihn immer wieder in Abstimmungsniederlagen laufen ließen. Als von Schoeler versuchte, durch vorgezogene OB-Neuwahlen die Situation zu klären, war es plötzlich ganz aus. Seitdem hat Frankfurt eine CDU-Oberbürgermeisterin, Petra Roth, die gegen eine rot-grüne Mehrheit im Stadtparlament regiert.

Wenn diese Mehrheit am Sonntag erhalten bleibt, dann nur, weil die Grünen die Verluste der SPD auffangen werden. „Die SPD“, sagt der grüne Stadtkämmerer Tom Koenigs, „ist einfach ausgebrannt. Sie hat keine Fähigkeit mehr, sich zu modernisieren, die SPD ist strukturkonservativ bis zum Reaktionären.“ Die Grünen in Frankfurt bemängeln vor allem, daß die SPD auf ihrem ureigenen Feld, der Sozialpolitik, nicht mehr innovativ ist.

„Die Partei“, so Koenigs, „denkt so etatistisch, so in alten Schablonen und so defensiv, daß sie erfolgversprechende Initiativen, die nicht bürokratisch kontrolliert sind, immer noch eher bekämpft als unterstützt. Selbst Teile der Gewerkschaften und Betriebsräte, in Frankfurt vor allem bei dem Chemieriesen Hoechst, sind bereits aufgeschlossener als die SPD.“

Daß ausgerechnet der Finanzpolitiker Tom Koenigs in Frankfurt das Aushängeschid der Grünen ist, dient der SPD wiederum als Beleg, daß die Grünen sich für die sozialen Belange der Stadt gar nicht mehr interessieren. „Deren Klientel“, sagt Franz Frey, „lebt in den besseren Wohngegenden, verdient überdurchschnittlich gut und ist an der Frage der Arbeitslosigkeit vor allem akademisch interessiert.“ Mit dieser Parole versucht die SPD, sich nun allerorten gegenüber den Grünen zu profilieren. Für die Juso-Sprecherin in Stuttgart war das auch der Grund, warum die Partei ihren Kandidaten trotz aussichtsloser Position für den zweiten Wahlgang nicht zugunsten der Grünen zurückziehen durfte. „Der Rezzo Schlauch“, sagte Claudia Priebe gegenüber Lift, „ist für mich ein asozialer Mensch, der mit Wirtschafts- und Sozialpolitik nichts am Hut hat. Ich jedenfalls weigere mich, Schaumschläger zu wählen.“

Der Verweis auf das angeblich mangelnde soziale Gewissen der Grünen wird auch bei den Landtagswahlen in Hamburg, im September diesen Jahres, Thema werden. Aber anders als in Baden- Württemberg, wo die SPD sich am liebsten unsichtbar macht, und in Frankfurt, wo die kommende Niederlage bereits jetzt das Klima versaut, thronen die Hamburger Genossen noch auf 40 Prozent, ist Hamburg noch fest in sozialdemokratischer Regierungshand und wird es wohl auch nach den Landtagswahlen bleiben. Entsprechend gelassen ist der Geschäftsführer der regierenden Partei, Werner Löwe, zu einem Meinungsaustausch über die sozialdemokratischen Großstadtprobleme bereit. Bei einem parteieigenen Riesling, den Löwe über einen kleinen Moselwinzer („sozialdemokratische Diaspora“) bezieht, kann Hamburgs SPD-Manager sechs Monate vor den Landtagswahlen noch in Ruhe darüber philosophieren, warum es seiner Partei im Norden besser geht als im Süden. Wie SPD-Bundesgeschäftsführer Müntefering, der im Gespräch mit der taz auch vor allem darauf beharrte, daß die SPD in Dortmund und Essen doch unverändert über stabile Mehrheiten verfügt, will auch Löwe von einem „naturgesetzlichen Abwärtstrend“ für die Sozialdemokratie in den Metropolen nichts wissen. „Unser Hauptproblem ist die Wahlabstinenz unserer potentiellen Sympathisanten. Die SPD hat oft Schwierigkeiten, ihr Potential zu mobilisieren und auszuschöpfen.“

Beschäftigungspolitik sei eben regional schwer zu machen. Die Partei muß bundesweit sichtbar Alternativen zur Regierungspolitik bieten. In dieser Auffassung wird Löwe von dem Frankfurter Politologen Konrad Schacht, der über „Wahlentscheidungen in Dienstleistungszentren“ geforscht hat, unterstützt. „Das Problem der SPD ist, daß sie ihren Oppositionsbonus im Gegensatz zu den Grünen nicht ausschöpfen kann, weil sie nicht in der Lage ist, in Bonn wirkliche Alternativen aufzuzeigen.“ Nach Langzeitstudien der Wahlforschung hat die SPD nach wie vor das Image der Sozialstaatspartei. „Die Tragödie ist“, sagt Schacht, daß sie sich „viel zu sehr dem neoliberalen Mainstream angenähert hat. Die SPD müßte den Sozialstaat viel aggressiver verteidigen.“ Die Schere zwischen Image und tatsächlichem Verhalten führe zu Frust und Wahlenthaltung. „Teilweise verliert die SPD diese Enttäuschten dann an rechtsradikale Gruppierungen.“

Schacht sieht deshalb auch für die Hamburger Sozialdemokraten schwere Zeiten kommen. „Voscherau hat die Gefahr der Abwanderung von SPD-Wählern zu den ,Republikanern‘ zwar erkannt, er instrumentalisiert die Reps aber nur gegen eine Veränderung der Partei.“ Werner Löwe kennt das Problem und hofft, daß die Partei „die Krise auch als Chance erkennt“. „Die Partei braucht einen Modernisierungsschub, sie ist zu etatistisch, der Apparat ist viel zu strukturkonservativ.“

So entspannt der Geschäftsführer der Hamburger SPD über strukturelle Probleme redet, beim Thema Grüne ist es auch bei ihm mit der Gelassenheit vorbei. Hamburgs Bürgermeister Henning Voscherau regiert im Moment mit einer Mehrheit, die ihm die Statt Partei verschafft, eine Hamburger Wählergemeinschaft, die sich vor vier Jahren aus CDU-Dissidenten gebildet hatte, bei den bevorstehenden Wahlen aber kaum Chancen hat, wieder in die Bürgerschaft zu kommen. Deshalb wird sich Voscherau wohl oder übel wieder mit den Grünen an einen Verhandlungstisch setzen müssen, es sei denn, er zaubert gleich eine Große Koalition aus dem Hut. Seit Klaus von Dohnanyi vor 13 Jahren erstmals mit den Grünen verhandelte, sind alle Versuche einer Rot- Grün-Kooperation in Hamburg gescheitert. Obwohl gerade die Hamburger Grünen zu großen Teilen im Grunde ihres Herzens linke Sozialdemokraten sind, macht Voscherau aus seiner Abneigung gegen diesen illegitimen Nachwuchs keinen Hehl. Vielleicht ja auch gerade deshalb.

Christa Sager, bei den letzten Wahlen grüne Fraktionschefin und jetzt wieder designierte Spitzenkandidatin ihrer Partei, findet das Verhalten der SPD „schlicht irrational“. „Es gibt in Hamburg eine strategische Mehrheit für Rot- Grün. Diese Konstellation wäre in der Stadt langfristig für stabile Mehrheiten gut. Aber die SPD bringt es einfach nicht fertig, normal mit uns umzugehen.“

Werner Löwe bestreitet das. Aus seiner Sicht gibt es genug reale Schwierigkeiten mit den Grünen, um einer Zusammenarbeit auf Landesebene skeptisch gegenüberzustehen. „Die Basis der Partei ist durch die rot-grünen Bündnisse auf Bezirksebene desillusioniert.“

Rudi Hoogvliet, der in Stuttgart den Wahlkampf des grünen OB- Kandidaten Rezzo Schlauch managte, hält solche Aussagen für mühsame Rationalisierungen eines tiefsitzenden Traumas. „Die Argumente, mit denen die SPD die Aufrechterhaltung ihrer aussichtslosen Kandidatur in Stuttgart begründete, waren an den Haaren herbeigezogen. Die haben uns Sachen vorgeworfen, die 15 Jahre zurückliegen. Die SPD konnte sich schlicht und einfach nicht vorstellen, ihren Kandidaten zurückzuziehen und Schlauch zu unterstützen. Sie wollten einfach nicht wahrhaben, daß sie so weit in der Scheiße sitzen.“ Für Hoogvliet läuft das Verhältnis von Rot zu Grün auf eine schlichte Feststellung hinaus: „Die hassen uns!“

Der Politologe Konrad Schacht, selbst Sozialdemokrat, sieht das etwas nüchterner, kommt aber im Kern zu ähnlichen Ergebnissen. Schacht: „Die Eliten der SPD verkraften bis heute nicht, daß sie links von der Mitte nicht mehr das Monopol haben. Umgekehrt verhalten sich die Stars der Grünen oft arrogant gegenüber Funktionären der SPD, die rethorisch weniger eloquent sind.“

Tom Koenigs, einer dieser grünen Promis in Hessen, macht jedenfalls aus seiner Meinung gegenüber den Funktionären der SPD in Frankfurt keinen Hehl mehr: „Denen fehlt mittlerweile einfach die Lust auf Politik. Das ist zu einer kollektiven Erscheinung bei der SPD geworden.“

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