: TV-Geständnis in Algerien
■ Fernsehen präsentiert angeblichen Mörder eines Gewerkschaftschefs
Madrid (taz) – Glatt rasiert und gekämmt präsentierte sich am Montag abend ein junger Mann dem algerischen Fernsehpublikum. Er heiße Raschid Medschahed, sei 30 Jahre alt und der Chef des Kommandos, das am 28. Januar den Vorsitzenden des Gewerkschaftsverbandes UGTA, Abdelhak Benhamouda, erschoß. Mit vier weiteren Islamisten habe er eine „unabhängige bewaffnete Gruppe“ gebildet. Während seine vier Kameraden wenige Tage nach dem Attentat bei einer Schießerei mit dem Militär ums Leben kamen, sei ihm die Flucht gelungen. Letzten Samstag habe ihn die Polizei aufgesprürt.
Ruhig trug der hagere Mann vor der Kamera seine Lebengeschichte vor. Er sei Arabischstudent und ehemaliges Mitglied der Ortsleitung der Islamischen Heilsfront (FIS) in einem Vorort von Algier. Nach deren Verbot 1992 sei er bis Sommer 1995 inhaftiert gewesen. „Nach meiner Freilassung sprach mich eine Person an, die sich als Mitglied der Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA) ausgab, und bat mich darum, mich der Gruppe anzuschließen“, berichtete Medschahed. Kurz darauf sei er unter dem Kampfnamen Chaled Abu Muad zum Chef eines Kommandos aufgestiegen. „Nach Problemen mit der Leitung“ habe er mit weiteren Kameraden eines der unzähligen unabhängigen Kommandos gebildet, die die Hauptstadt unsicher machen.
Raschid Medschahed beendete seine 40minütigen Ausführungen mit einem Aufruf an den islamistischen Untergrund, die Waffen niederzulegen. „Ich weiß heute, daß es unmöglich ist, mit diesem Blutbad die Machthaber zu stürzen.“, erklärte Medschahed, nachdem er ausdrücklich betonte, „in der Haft gut behandelt“ zu werden.
Das Fernsehdokument widerspricht einem Kommuniqué, in dem sich die „Front für denn bewaffneten islamischen Heiligen Krieg“ (Fida) zu den tödlichen Kugeln auf Benhamouda bekannte. Es ist schwer zu überprüfen, ob der den Zuschauern vorgestellte Abu Muad echt ist, ob er freiwillig oder nach Folter aussagte oder ob es sich gar um eine vom Geheimdienst inszenierte Fensehvision handelt. Seine Geständnisse kommen den algerischen Militärs wie gerufen. Ausgestrahlt am 41. Jahrestag der Gründung der Gewerkschaft UGTA sollen sie Stimmen zum Verstummen bringen, die nach dem Tod von Benhamouda die Mörder im Staatsapparat suchten. Zu mächtig sei der Gewerkschaftsführer, der die Gründung eine eigenen Partei plante, einigen seiner Gönner geworden, deuteten viele die letzten Worte des tödlich Verwundeten an einen Freund: „Mein Bruder, man hat uns verraten.“ Reiner Wandler
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