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Die Blutspur nach Marzahn

■ Waffe bei Mord von Rechtsradikalem an Polizeibeamtem wurde auch bei dem Anschlag auf einen linken Buchhändler im Berliner Stadtteil Marzahn benutzt

Berlin (taz) – Polizeiobermeister Stefan Grage aus Lübeck wurde mit derselben Waffe erschossen, mit der auch der Berliner Buchhändler Klaus Baltuschat am vergangenen Mittwoch schwer verletzt wurde. Bei beiden Attentaten handelt es sich um eine Pump-Gun, einer Schrotflinte mit abgesägtem Lauf. Die Lübecker Staatsanwaltschaft hält es für sehr wahrscheinlich, daß der inhaftierte Neonazi Kai Diesner in beiden Fällen der Täter ist. Bei seiner Vernehmung sagte dieser, am Sonntag die Waffe zum erstenmal benutzt zu haben. Diesner, 24 Jahre alt, hat mit einer Anklage wegen Mordes und versuchten Mordes zu rechnen. Zu diesen beiden Haftbefehlen will die Berliner Staatsanwaltschaft einen dritten wegen des Attentats auf den Buchhändler erreichen. In dieser Sache ermitteln die Berliner Behörden auch gegen andere Rechtsextremisten.

„Wirres rechtes Zeug“ habe Diesner bei seiner Vernehmung geredet, sagte der Lübecker Staatsanwalt Günter Möller gestern. Diesner ist bekannt als rechtsextremistischer Fanatiker. Seine Leitbilder suchte er sich nach der Wende bei der „Nationalen Alternative“, die sich 1993 auflöste. Innerlich geführt wurde er von Arnulf Priem und seiner Gruppe „Vandalen“. Eine Melange aus nationalsozialistischen Ideen und rechter Esoterik lernte er dort kennen. Die Gruppen „Weißer Arischer Widerstand“ und NSDAP/AO sind seine politische Heimat. Die NSDAP/AO wird von den USA aus geleitet.

Im vergangenen Jahr gestand schon ein Mitglied der NSDAP/AO vier Tötungsverbrechen: Thomas Lemke aus Gladbeck. Er will von Odin, dem nordischen Gott, geleitet worden sein. Auch er tötete mit einer Pump-Gun. Verfassungsschützer gehen davon aus, daß Diesner und Lemke Einzeltäter sind. Wie viele solcher Desperados aus der rechten Szene herumlaufen, vermag niemand zu sagen. „Es passiert gelegentlich, daß sich in der Neonaziszene Psychopathen herumtreiben“, so Jörg Milbradt, stellvertretender Brandenburger Verfassungschutzchef. „Aber diese Mischung aus rechtem Gedankengut und psychologischer Verfassung ergibt eine brisante Mischung.“ Eine neue Qualität rechter Gewalt sieht er jedoch nicht. Man müsse jetzt sehen, welche Neonazis „psychologische Auffälligkeiten, Abnormitäten an den Tag legten und sich entsprechende Schritte überlegen“. Verfassungsschützer können kaum etwas tun. Über V-Leute mögen sie den Auffälligen den Rat geben können, sich in therapeutische Behandlung zu begeben. Annette Rogalla

Tagesthema Seite 3

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